Paulas Popwoche: Viel Ärger, aber die Liebe gewinnt
Paula Irmschler über Coldplay, MOON MUSIC, James Blunt und Liam-Payne-Fans.
Was war das wieder für eine Woche? Ernstgemeinte Frage, ich hab nämlich nicht so viel mitbekommen, war auf Lesetour, am Arbeiten, Privatleben und so weiter. In solchen Zeiten muss man sich darauf verlassen, dass die Algorithmen einem schon das Wichtigste ausspielen, und das war dann wohl: Seltsame Verschwörungstheorien zum Tod von Liam Payne, Stress um einen Fan-Edit vom „Wicked“-Filmplakat, Diskussionen um verbale Zumutungen von Thomas Gottschalk und Autor Clemens Meyer. Aber …
Debatte der Woche: Coldplay
… ist für mich explizit nichts davon, sondern das übliche Bla, sobald ein neues Album von – Achtung, Content Warnung – Coldplay rauskommt. Diesmal heißt es MOON MUSIC. Natürlich. Die Erde und sonstige Planeten, Sonne, Mond und Sterne, das ist einfach die Welt von Coldplay – und eigentlich ja unser aller … Nun. Man kann jedenfalls die Uhr danach stellen, dass viele Männer, sobald eine neue Coldplay-Platte erscheint, wie Zombies durch die Gegend stolpern und stammeln „Coldplay scheiße … aber die ersten beiden Alben … die beiden ersten Alben … die beiden … die ersten … damals … Coldplay scheiße … die ersten“ – und dann fallen sie vor lauter Langeweile über ihre eigene Zunge. Meinem Gefühl nach ist dieser Distinktionskampf um Coldplay DIE zentrale innermännliche Debatte (leider, es könnte andere geben …).
Es geht ja vor allem um Sachen wie Authentizität, darum, was richtige Musik ist und das Nichtertragen von zu viel Tamtam. Normale Leute hören einfach auf, eine Band zu hören, wenn einem die Musik nicht (mehr) gefällt, diese Männer aber müssen sich zu Coldplay immer wieder positionieren, als ginge es dabei eben um was Grundsätzliches, um einen Verrat. Und wenn es auch generell stimmt, dass reiche Leute oft keine gute Musik (mehr) machen, stimmt es bei Coldplay natürlich nicht so ganz. Auf jedem der Alben ab dem dritten gab es ein paar ganz tolle große und kleine Songs, berührende Texte und Melodien – und wer schon mal auf einem Konzert „der Jungs“ war, dem ist der Zynismus spätestens nach drei Songs aus dem Gesicht gefallen. Aber die „die ersten Alben“ – Männer hören natürlich nicht hin, das gehört zum Getue, dass man das extra ganz dolle ignoriert. Nur leider eben doch nicht konsequent, denn allein die schiere Existenz der Band ist provokant.
Schließlich sind da fünf Typen, die sich etwas entziehen, auf das man sich mal geeinigt hat und damit auch noch super erfolgreich sind. Coldplay sind nicht cool, sind keine Rocker, arbeiten mit allen möglichen Popstars zusammen. Sie sind aufgedreht, zärtlich, bunt und kitschig – irgendwie so bissl wie Popfrauen, oder? Während so mancher Musikmann Text nach Text und Post um Post schreibt, um das Stadion-Phänomen SWIFT zu ergründen, will er es bei Coldplay AUS PRINZIP bleiben lassen. Außer die beiden Hosts vom Podcast „Switched on Pop – Learning To Love: Coldplay“, die sich noch mal tiefer ins Werk begeben haben und schließlich die hervorragende These aufstellen, dass Coldplay quasi Kirchenmusik für Atheist*innen machen. Lustig und wahr. LOVE und EARTH und MOON zeugen davon.
Spaß der Woche mit: James Blunt
Ich bleibe vorerst bei lieben Männern. Für die mit Abstand sympathischsten und lustigsten Pop-Momente hat zuletzt James Blunt gesorgt. Er kündigte via Reel an, er würde seinen Namen ändern, und zwar ganz offiziell, wenn die Neuauflage seines Debüts BACK TO BEDLAM auf Platz eins der Charts landen würde.
Welcher Name es werden sollte, konnten Fans und Hater via Abstimmung entscheiden. Am meisten Stimmen bekam, natürlich, der Vorschlag „Blunty McBluntface“. Im Zuge dessen gab es weitere sehr lustige Reels – und schließlich die Bekanntgabe, dass aus Platz eins leider nichts geworden ist und er seinen Namen behalten kann. Zieht euch bitte unbedingt alles rein, es ist so süß.
… Damit ist für mich die 2024er-Version von BACK TO BEDLAM auch direkt das Album der Woche. Überraschend gern hab ich mir Blunty McBluntfaces Debüt nochmal angehört – und es ist weitaus besser, als ich es mittlerweile (dank all der Hater – ähnliches Phänomen wie bei Coldplay) in Erinnerung hatte. Außerdem kannte ich überraschenderweise fast jeden Song, der Typ war damals nämlich viel größer als „You’re Beautiful“. Vielleicht bekommen wir das mit dem Platz eins ja doch noch hin …?
Fans der Woche: Die Liam-Payne-Anhänger*innen
Da es Blunts Fans bisher nicht geschafft haben, ihn auf Platz eins zu hieven, müssen es also andere sein.
Deshalb sind es die von One Direction, von denen man hierzulande in den vergangenen Jahren gar nicht so viel mitbekommen hat. Aber nun kamen anlässlich der Nachricht zum Tod von Liam Payne alle wieder zum Vorschein. Überall in Deutschland fanden sich Gruppen von Fans zusammen, um ihm zu gedenken. Hier zum Beispiel in Leipzig.
Popfans, die zusammenkommen wollen, weil die Liebe zur Musik sie verbindet – ich glaube fest daran, dass es das auch noch geben wird, wenn diese ausbeuterische und gefährliche Musikindustrie, unter der auch Payne leiden musste, irgendwann mal zerschlagen wird.
ABER. Fans können auch richtig scheiße sein, wenn sie nicht verstehen wollen, dass ihr Held ein echter Mensch ist oder war und – wie im Fall von Payne – kein ausschließlich guter Mensch. Seine Ex-Verlobte Maya Henry berichtete nämlich erst kürzlich von Missbrauch, den sie durch ihn erfahren habe – bekommt dafür nun Hasskommentare von Fans und wird für den Tod von Payne verantwortlich gemacht. Industrie hin oder her – auch Fans müssen sich und ihre Sicht auf Promis mal raffen, wir sind nämlich Teil dieses Spiels.
Ich empfehle daher Coldplay-Fantum – was weiß ich denn, was Chris Martin privat macht? Und wie heißen überhaupt die anderen Typen? Kein Plan. „In the end, it’s just love“, lauten die letzten Worte auf ihrem neuem Album. So nämlich.
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