Popkolumne, Folge 240

Verfilmte Popliteratur, der Tod und ich: Linus Volkmanns Popkolumne


Welche verfilmte Popliteratur ist die Schlimmste? Und wo sortiert sich „Sophia, der Tod und ich“ ein?

Die neue Popkpolumne hält dir einen Kinosessel frei. Popcorn inklusive.

Für euch und diese Kolumne extra im Lichtspielhaus gewesen: Kolumnist und Mensch, Linus Volkmann

18 Dinge, die ich gelernt habe von der Verfilmung von „Sophia, der Tod und ich“

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Eine Erkenntnis von Buch wie auch Film: Der Tod ist dein ständiger Begleiter. Das wird besonders augenscheinlich, wenn man dieser Tage über eine Fußgängerzone zum Kino geht – und dabei mehrfach von zu dritt bemannten E-Roller gestreift wird, die von hinten vorbeibrettern. Auf besorgte beziehungsweise obszöne Handzeichen können die aufgeweckten Gefährderjugendlichen leider nicht reagieren, da sie zu sehr mit ihren Handys beschäftigt sind.

JAOK, dann klinge ich mit diesem Absatz halt wie deine Mutter! Warum auch nicht, das ist eine ehrenwerte Frau.

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Ach komm … der mittlere Typ auf dem Kinoplakat ist wirklich nicht Farin Urlaub?!

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Die Musik stammt hier großflächig vom Schweizer Duo Steiner & Madlaina. Deren jüngste Platte RISIKO hatte mich nicht so gekriegt, aber nach dem Film hier bin ich nun doch wieder in Flammen. Ganz tolle Soundtrack-Momente gehen in diesem Film auf ihren Deckel.

Thees Uhlmann teilt „Egal was ich tun werde, ich hab immer an dich gedacht“

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Schauspieler, die Betrunkene darstellen müssen, sind – wie ihre Zuschauer – selten zu beneiden.

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Doch als in einer Szene drei mal drei Dosenbiere beim Snackwagen im Zug gekauft werden, da hatte ich kurz dieses Grimme-Preis-Feeling beziehungsweise selbst Durst bekommen.

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Auch kleinere und mittlere Filmproduktionen kosten unfassbar viel Geld. Fantastilliarden braucht es, um so ein Projekt zu verwirklichen – allein weil so viele Leute, Orte und Materialien aufgerufen werden müssen. Damit hat man dann aber längst noch nicht „das große Kino“. Denn Special Effects, in Abgründe stürzende Autos, Erdbeben, Feuer, Massenszenen, Godzilla – all das ist erst ab einer bestimmten Verfahrensgröße zu stemmen. Auch „Sophia, der Tod und ich“ muss sich vom Budget her eher auf Figuren und Plot stützen. Dennoch – und hier liegt eine der Qualitäten des Films – gelingt es, auch mit schmaleren Mitteln Schauwerte für „die große Leinwand“ aufzurufen: Zum Beispiel in Form der Special Effects (Thanks, Post-Produktion) bei der ersten Schlacht der beiden Sensenmänner im Garten von Mutters Reihenhaus.

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Die Darstellerinnen der Zeugen Jehovas sehen größtenteils aus, als würden sie in einem Hipster-Café in Mitte jobben statt an der Straßenecke den Wachturm pumpen.

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Noch mal raus aus dem Film und zurück in den Kinosaal: Warum ernährt man sich eigentlich nicht viel regelmäßiger von Nachos mit Käse-Dip?

Traurig, geilomatik und kackendreist: Paula zu Besuch bei „90er Live“

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Zurück zu „Sophia, der Tod und ich“ … In Berlin in einen Zug steigen und eigenes Abteil abbekommen? So ist es recht, Kino soll doch auch ferne Welten sichtbar machen!

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Ein Vibe, der den ganzen Film durchzieht: Geil, rauchen!

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Ein Flashback, wenn man über Thees Uhlmanns (vermeintliches) Kinodebüt nachdenkt: Der hatte doch schon mit seinem Oheim Marcus Wiebusch, Heike Makatsch und Jürgen Vogel diesen Film „Keine Lieder über Liebe“. Inklusive der Filmband Hansen.

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Die 15 besten Songs von Thees Uhlmann

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Rocko Schamoni ist in „Sophia, der Tod und ich“ in einer schlecht gekleideten Nebenrolle zu sehen. Hier kann er allerdings mehr brillieren denn als „die Eidechse“, die er im letzten Agentenfilm von Helge Schneider gab.

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Es gibt eine wunderschöne, intime Liebesszene. So auch noch nicht gesehen.

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Der Film geht weit, macht ganz viel Raum auf. Man bekommt ein Gefühl für die Strecke, die die Protagonist:innen zurücklegen. Soviel Straße einfach: Von dem spröden Schleswig-Holstein bis in verschneite Berge Süddeutschlands – dazwischen Autobahn und ein sehr gut angelegtes Budget für eine Kamera-Drohne, die das in Szene setzt.

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Autofahren und zur Musik abgehen ist ein ziemliches Road-Movie-Klischee. Wenn es aber so hinreißend überperformt wird, dann einfach nur noch Respekt. Beste Autoradio-Dance-Challenge seit „Wayne’s World“.

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Es muss nicht per se schlecht sein, wenn man bei einem Kinofilm denkt: „Das sind doch bestimmt Theaterschauspieler!“

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Apropos Theaterschauspieler, apropos der Typ aus der Mitte des Filmplakats, der nicht Farin Urlaub ist: An der Figur des „Tods“, gespielt von Marc Hosemann, hängt letztlich das Gelingen von „Sophia, der Tod und ich“. Und man braucht ein paar Einstellungen, bis man sich sicher bei ihm fühlt. All das Overacting der Figur, die seltsamen Zungen, in denen sie spricht, könnte sie und damit die ganze Geschichte vollkommen in den Graben fahren. Doch Marc Hosemann schafft eine Persona, die larger than life, albern und grell ist – aber die ihrem eigenen Furor nie ausgeliefert ist. Der personifizierte Tod ist im Buch wie in der Verfilmung die Schlüsselfigur. Diesen Sense of wonder hebt Regisseur Charly Hübner mit seinem Darsteller nun auf eine mutige filmische Vision. Zu Hosemanns irritierenden Spiel muss sich das ganze Ensemble verhalten – und das wertet den Cast dann aber auch selbst auf.

„NEVER FORGET – der 90er-Podcast“ (Folge 7): Britpop, Teil 1 – Oasis feat. Thees Uhlmann hier im Stream hören

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Nachtrag: Kinobesuch ist überhaupt gar nicht so kapselig versingulärt, wie ich es in Erinnerung hatte. Vor dem Kino eine Demo von gockelig aggressiven Corona-Leugner:innen – mit Mikrofon. „Gesundheitspolizeistaat“ steht auf dummen Laken. Als Gegendemonstrant:innen aktiv werden, tobt eine dialektsprechende Elendsgestalt, die sich als „Versammlungsführer“ bezeichnet, über die Boxen: Die Polizei möge sofort alle verhaften, drei Jahre Haft, das wisse er, stehe auf das Stören einer Demonstration. Staatsfeindliches Egoisten-Palaver und im nächsten Satz auf Recht und Ordnung und die Polizei pochen. Die inneren Widersprüche der beklagenswerten Demo tun weh. Doch egal, auf dem Heimweg denke ich viel lieber noch mal über diesen Film nach. Sophia, die Corona-Leugner, der Tod und ich.

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Zugabe! Okay… sechsmal verfilmte Popliteratur

Eine unvollständige Liste, ein paar Storys

„Herr Lehmann“ (Regie: Leander Haußmann, 2003)

Nach dem gleichnamigen Buch von Sven Regener

Der Debütroman von Sven Regener besitzt eine dermaßen starke Stimme, Stimmung und Figur, dass er den gesamten Nuller Jahren einen Stempel aufdrückte. Auch Regener war danach gefragt wie nie und selbst seine damals nicht mehr wirklich angesagte Band Element Of Crime kam plötzlich nicht nur im Feuilleton-Game zurück. Die Verfilmung des Lieblingsbuchs jener Zeit wäre wohl auch mit einer Super-8-Kamera zum Erfolg geworden. So hatte es auch Christian Ulmen als Herr Lehmann einigermaßen leicht. Hauptsache nicht verkacken und zack … Ein Erfolgsfilm nach deutschen Maßstäben! Allerdings einer, der letztlich alles, was die Buchvorlage so besonders machte, nicht umsetzen und selbst auch keine Akzente setzen konnte. Von faszinierend zu egal in 103 Minuten.

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Benjamin von Stuckrad-Barre „Soloalbum“ (Regie: Gregor Schnitzler, 2003)

Nach dem gleichnamigen Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre

Das legendäre erste Buch von BvSB habe ich erst jüngst noch mal in Augenschein genommen und war eher ernüchtert. Die rasende Misogynie, die einfach zu oft durchschimmert oder gar Story-Runner ist, lässt sich nicht einfach mit dem Konzept „Ist halt ein Anti-Held“ wegwaschen. Insofern kann man die missratene Verfilmung sogar etwas positiver bewerten. Denn dort sollte die Titelfigur zwar weiterhin als unangenehm aber doch letztlich loveable inszeniert werden. Das federt in der Verfilmung daher manches ab. Darüber hinaus allerdings ein typisch deutscher Film: Unauthentische Szenarien, Holzschnittfiguren und wo die Dialoge ein bisschen „frech“ und „krass“ sein wollen, dringt ungebremst die Fremdscham ein.

Für mich persönlich ist dieses Zerrbild einer Musikmagazinredaktion allerdings an einigen Stellen schon wieder so trashig, dass ich sie als „Kult“ durchgehen lassen würde. Allen voran das Auflaufen einer enttäuschten Band im Großraumbüro (gespielt von Teile der Fantastischen Vier), die dem Protagonisten „eine geben“, wie wir kampferprobten Schreibtisch-Otter sagen. Wo Schweighöfer und Tschirner allerdings nicht unfreiwillig im Comedy-Segment landen, ist „Soloalbum“ kaum mit Genuss zu sehen. Die Melodramatik vor allem der zweiten Hälfte tut dabei ihr Übriges.

Hits, Hypes, Nieten von Linus Volkmann: Das Jahr so far in sieben Listen
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„Feuchtgebiete“ (Regie: David Wnendt, 2013)

Nach dem gleichnamigen Buch von Charlotte Roche

Also bei aller Lust an der Kritik, eine Verfilmung von „Feuchtgebiete“, wer soll daran denn bitte nicht scheitern? Das Buch lebte sehr von der Person Charlotte Roches, von der Selbstentblößung der Hauptfigur und einem allgemeinen Furor, der das Buch durchzieht. Die Handlung dagegen, also was wirklich passiert, ist nicht gerade besonders cineastisch oder verwicklungsreich. Es drohte eine eher ungute Verfilmung zu werden für all die Voyeure, die das Projekt ohnehin schon angezogen hatte. Davon ausgehend erscheint mir auch heute noch die Version von David Wnendt überraschend gelungen. Seine „Feuchtgebiete“ sind sicher kein ikonisches Kino, doch über weite Strecken kurzweilig, angemessen obszön, aber niemals geifernd.

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„Crazy“ (Regie: Hans-Christian Schmid, 2000)

Nach dem gleichnamigen Buch von Benjamin Lebert

Nicht wirklich schlecht gealtert wirkt dieser Film dennoch eher wie ein Zeitzeugnis, denn wie ein Werk, das noch allzu sehr aufs Hier und Jetzt anzuwenden wäre. Zwei schöne Dinge besitzt „Crazy“, die alle Epochen überdauern werden: Den Karrierestart von Robert Stadlober und die Sache mit dem Kekswichsen.

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„Almost Famous“ (Regie: Cameron Crowe, 2001)

Nach dem Buch von Jim DeRogatis: „Let it Blurt: The Life and Times of Lester Bangs, America’s Greatest Rock Critic“

Das Buch, das diesem Film zugrunde liegt, ist für mein journalistisches Selbstverständnis, dem ihr hier ja gerade auch begegnet, biographisch sehr prägend gewesen. Es handelt von Lester Bangs (1948-1982) und dessen Wirken als Musikautor. Bangs griff als Handelnder stets aktiv ein in Storys für Magazine wie den amerikanischen Rolling Stone und gilt als einer der Vertreter des sogenannten „Gonzo Journalismus“. Er war das Gegenteil eines stillen Beobachters, sondern viel mehr ein ziemlich wahnhafter Erzähler, der dich tief hineinführte in die Exzesse der Zeit, der Türen zu Backstage-Partys öffnete. Mir gefiel seine atemlose wie stilistisch unterhaltsame Prosa, ich liebte den Blick hinter die Kulissen und in die Abgründe von Branche, Künstler:innen und letztlich dem Autor selbst.

Journalistische Neutralität in den Nachrichten ist ein hohes Gut, aber auf einem so „weichen“ Gebiet wie der Kultur, da kann sie meinethalben gern das hinterher humpelnde Feuilleton haben. Ein objektiver Blick auf Pop? Bitch, please! Okay, es soll aber hier um den Film über Bangs gehen – und der ist nicht weniger als eine Zumutung. Zum Glück für den früh verstorbenen Bangs hat die Handlung eigentlich nichts mit seinem Schaffen zu tun, außer dass es irgendwie um Musik geht. „Almost Famous“ ist ein trauriger Mainstream-Scheiß, der das Thema des 70er Rock’n’Rolls gleichermaßen voyeuristisch wie moralisch angeht. Eine ätzende Mischung. In mein persönliches Notizbuch notierte ich bei meinem damaligen Kinobesuch erbost folgendes: „‘Almost Famous‘ verherrlicht nicht Drogen, sondern die Kleinfamilie.“ Ein wenig zu zugespitzt scheint mir diese Aussage heute – aber ich weiß ja, aus welchem Mindset sie stammt …

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„Sowas von da“ (Regie: Jakob Lass, 2018)

Nach dem gleichnamigen Buch von Tino Hanekamp

Eine Kolumne darf doch ruhig ein wenig privater erzählen – und wir sind ja hier unter uns. Daher gebe ich euch also hier mal den Gossip aus der Musikbranche wieder, der zu der Verfilmung des Buchs von Tino Hanekamp damals auch mich erreichte. Es hieß, der Autor sei vor allem auch deshalb nach Mexiko ausgewandert, weil ihn dieses Kinoprojekt so fertig gemacht habe. Sein Debüt-Roman „Sowas von da“ war einfach ein Killer, nah, emotional, aufregend, rastlos. Also alles Adjektive, die sich in den meisten deutschen Filmen nur in Schwundstufen finden lassen. Daher schwelte die naheliegende Idee, der Autor selbst möge doch das Drehbuch verfassen. Auf dass möglichst viel vom Spirit des Buchs ins Bewegtbildmedium übersetzen werden möge. Doch die verzehrenden Realitäten in der Filmbranche zermürben noch jede gute Idee. Und da man für einen Film weit mehr Kapital benötigt wird als zum Beispiel für eine Plattenveröffentlichung, dreht sich unheimlich viel um Budgets und Förderungen. Was am Ende bedeutet, Projekte brauchen endlos lange bis zur Verwirklichung und am Ende haben so viele Kräfte mitgeredet, dass es um alles zu gehen scheint, aber selten noch um die ursprüngliche Vision. In der Buchbranche empfiehlt man daher allen Autoren, deren Filmrechte verkauft werden: „Take the money and run!“

Tino Hanekamp tat dies einst wohl nicht und verfing sich in kraftraubenden Überarbeitungen des Drehbuchs. Vom Buch-Hit zum Box-Office des Films vergingen sieben (!) Jahre. Normale Härte.

Wie nah das Ergebnis noch an den Vorstellungen des Autoren ist, vermag ich nicht zu sagen. Meine Einschätzung des Films ist zumindest einigermaßen positiv. Das authentische Milieu, das aus der Buchvorlage spricht, lässt sich natürlich nicht ohne grobe Verallgemeinerung auf die Leinwand übersetzen, aber im Rahmen dessen ist es etwas weniger scheiße als bei vergleichbaren Projekten. Und ist das nicht das Beste, was man über verfilmte Popliteratur aus Deutschland sagen kann? Ich denke schon!

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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