So war es bei Dua Lipa in Berlin: Spaß bei der Arbeit
Daniel Koch war für uns beim Konzert von Dua Lipa am 10. Mai 2022 in Berlin und erlebte perfektes Pop-Entertainment, das zwar höchst professionell vorgetragen wurde – aber vielleicht gerade deshalb so gut funktionierte. Hier sein euphorischer Eindruck.
Ein Wintermorgen Anfang 2020. Nach diversen Terminverschiebungen habe ich endlich Dua Lipa für ein kurzes Telefoninterview am Hörer. Anlass ist ihr kommendes Album FUTURE NOSTALGIA und die dazugehörige Arenatour. Auf die Frage, was uns bei den Konzerten im Sommer erwartet, sagt sie: „Ich will, dass ihr tanzt! Vom ersten Song an und gerne auch noch auf eurem Heimweg. Wir haben gerade große Freude daran, aus den Songs eine Show zu machen. Ich arbeite eng mit meinem Choreographen zusammen und wir haben fantastische Tänzerinnen und Tänzer dabei. Da FUTURE NOSTALGIA sehr 80er- und Disco-inspiriert ist, war es von Anfang an klar, dass es viele Tanz-Einlagen geben wird.“
Eine Pandemie und über zwei Jahre später muss ich an diese Worte denken, als der letzte Akkord des Berlin-Konzerts verklungen ist. Dua Lipa hat Wort gehalten. Von Anfang bis Ende gab es praktisch keinen Stillstand auf der Bühne. Und die Leute tanzen tatsächlich noch auf dem Weg zum Ausgang. Was auch daran liegt, dass „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“ aus den Boxen dröhnt. Beim Refrain singt die Halle fast so laut wie kurz zuvor bei „Don’t Start Now“.
Darum zählt Dua Lipa zu den größten Popstars, die wir gerade haben
Nach diesem Konzertabend in der Mercedes Benz Arena ist klar, was man eigentlich schon vorher wusste: Dua Lipa zählt zu den größten Pop-Stars, die wir gerade haben. Sie hat es sogar geschafft, noch größer als zuvor aus der Pandemie herauszukommen – obwohl sie mit FUTURE NOSTALGIA ein Album veröffentlicht hat, das vom ersten bis zum letzten Song regelrecht danach schreit, nicht bloß gehört, sondern auch getanzt und live erlebt zu werden. Aber Dua Lipa ist bei all dem offensichtlichen Können auch noch entschlossen und zielorientiert. Sie hat mit „Studio 2054“ also einfach mal eben eines der erfolgreichsten Streaming-Events der Corona-Zeit auf die Beine gestellt und damit ungefähr neun Millionen Menschen erreicht.
Die Konzerte der „Future Nostalgia“-Tour sind von Anfang bis Ende perfektes Pop-Entertainment. Schon das Intro ist großartig: Auf der Leinwand werden die Tänzerinnen und Tänzer der Show mit kurzen Videos im „Miami Vice“-Style vorgestellt. Der Opening Track ist zugleich Motto des Abends: „Let’s Get Physical“. Dua Lipa und ihre Crew tragen dazu Ganzkörper-Aerobic-Anzüge, die Live-Band ist links am Bühnenrand platziert, die vier Backgroundsängerinnen rechts, ein langer Bühnensteg führt ins Publikum, an dessen Ende eine kleinere quadratische Bühne ist.
Dua Lipa mag zwar bei all dem der Mittelpunkt sein und trotzdem ist ihr Show ein Team-Effort: Ihre diverse Dance Crew ist all over the place – die Choreografien sind abwechslungsreich und immer wieder weiß man nicht so recht, was gerade spannender ist: Das Tanzgeschehen, oder Dua Lipa, die mit fester Stimme diese übergroßen Pop-Hits der vergangenen Jahre singt – die auch in Teilen ein Team-Effort sind, aber von ihr maßgeblich mitgeschrieben werden. Im Song „Future Nostalgia“ gibt es diese Zeilen im Refrain: „No matter what you do, I’m gonna get it without ya / I know you ain’t used to a female alpha“. Hier sieht man, wie sehr sie diese Rolle ausfüllt. Alles tanzt nach ihrer Pfeife, wie mein Vater wohl sagen würde.
Shows als hochprofessionelle Dienstleistung
Diese Professionalität ist ebenfalls interessant: Man sieht nämlich auch, dass Dua Lipa Shows wie diese als Dienstleistung begreift. Was bei vielen Fans anderer Genres ja durchaus verpönt ist. Doch während andere Stadionrockbands jeden Abend auf der Bühne bescheuerte Authentizitäts- und Understatement-Simulationen durchspielen, begreift Dua Lipa alle Teile ihre Kunst als Pop-Entertainment und Dienst am Fan. Das funktioniert natürlich nur so gut, weil sie einen Heidenspaß an ihrer Arbeit hat. Und eben diese fantastischen Pop-Songs hat, die man auch nicht hinkriegen würde, wenn man eine uninspirierte Dienstleisterin wäre.
Tatsächlich gibt es bei den gut 20 Songs kaum Ausfälle: „New Rules“, das ihre Karriere in neue Sphären schoss, ist immer noch groß. „Hallucinate“, „Levitating“, „Break My Heart“ sind die Banger, die viele durch die Workouts im Lockdown gebracht haben, „Cold Heart“, bei dem Elton John auf Leinwand eingespielt wird, ist einer der wenigen zurückgenommenen Momente und gerade deshalb sehr berührend trotz Playback-Elton. Das Publikum ist bei all dem auch auf den Rängen in Bewegung. Als ich mich umschaue, sehe ich fast nur strahlende Gesichter, außer bei ein paar Presse-Kolleg:innen neben mir, die das Konzert eher routiniert abperlen lassen. Fair enough. Aber der Rest feiert all das ungemein.
Dua Lipas Songs sind eben Pop in Reinform: leicht zugänglich, euphorisch und im Grunde unwiderstehlich. Was vielleicht auch daran liegt, dass Dua Lipa bei ihrer Inspiration Geschmack beweist. Im Interview damals sagt sie zu mir über die Vorbilder für FUTURE NOSTALGIA: „Für dieses Album habe ich im Vorfeld viel Moloko, Jamiroquai, Prince und Blondie gehört. Das waren die Künstlerinnen und Künstler, die meine Eltern immer zuhause gehört und die meine Begeisterung für Popmusik geweckt haben.“
Während der Show gibt es außer den obligatorischen „Berlin! How are you?“-Rufen kaum längere Ansagen. Außer eine, die ebenfalls einen interessanten Einblick in ihre Karriere und Arbeitsmoral gibt. Berlin habe immer einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Hier habe sie ihr allererstes Label-Showcase-Konzert gespielt. Sie sei ultra-nervös gewesen, hatte Selbstzweifel, habe sich im Bad eingeschlossen. Aber dann hätte sie all ihren Mut zusammengenommen und den Song „Be The One“ gespielt – übrigens mit einem Mitglied aus ihrer jetzigen Live-Band an der Seite. „I can be the one“, singt sie – und ist tatsächlich eine von hunderten Acts, die nach so einem Showcase irgendwann in der größten Arena der Stadt ankommt. Was in ihrem Fall auch an ihrer verbrieften Entschlossenheit liegt. Die hat sie schon mit 15 an den Tag gelegt: Dua Lipa musste als sie 11 war mit ihren Eltern zurück in den Kosovo nach Pristina ziehen – und auch wenn sie sich dort sehr wohl fühlte, spürte sie schnell, dass eine Popkarriere von dort schwer zu starten war. Also zog sie mit Einwilligung der Eltern als 15-Jährige nach London, wohnte bei einer befreundeten Familie, spielte auf ihrem YouTube-Channel Cover-Songs und begann Kontakte zu knüpfen. Der Rest ist Geschichte.
Eine Geschichte, die mit dieser bunten Tour ein weiteres, mitreißendes Kapitel schreibt, in dem an einer Stelle sogar ein auf der Bühne zuppelnder Riesenhummer einen Auftritt hat. Bei all dem popkulturellen Geschreibsel hier, bei dem man vielleicht denken könnte, dass ich mit Notizblock in der Ecke stand, war es für mich nämlich einfach auch ein euphorischer Konzertabend, auf den ich zwei Jahre warten musste, inmitten eines sehr angenehmen Publikums, dem man übrigens anmerkte, dass Dua ein Fave der LGBTQ+-Community ist. Auf dem Weg aus der Halle sagte jemand neben mir zu seinem Freund: „DAS ist Popmusik!“ Ein Fazit, das ich hier ausdrücklich unterschreiben möchte.