PJ Harvey
White Chalk
Island / Universal
Da sitzt sie nun. Alleine am Piano, weitgehend verlassen von der Welt. Sie braucht aber Gesellschaft. Also fordert sie Luzifer zum Duell: „Come here at once!“. Es ist ein finsterer Einstieg. Gemessen an dem, was man hier sonst zu hören bekommt, auch ein seltener Temperamentsausbruch. Polly Jean Harvey hat sich, wie es sich für sie gehört, wieder einmal für einen Stilwechsel entschieden. Nur sie an den Tasten, dazu ihre Stimme und äußerst spartanische Bandarrangements – mehr gibt es nicht zu hören. Es soll ein persönliches Album sein. Persönlicher wie es persönlicher nicht mehr geht. Das ist es auch wahrlich geworden. Polly geht zurück in ihre Kindheit und erzählt vom weißen Kalk an den Häusern ihrer Heimatgrafschaft Dorset. Oder sie fleht ihre Mutter an: „Teach me mummy, how to grow, how to catch someone’s fancy“. Glaube an die eigene Unzulänglichkeit, das alte Harvey-Thema. Im Büßergewand tritt sie vor den Herrn und bittet um Vergebung: „Please don’t reproach me for how empty my life has become.“ Solche Zeilen, zudem noch mit schmerzverzerrter Stimme vorgetragen, traut sich der zu preziöser Vagheit tendierende Künstler im kommerziellen Musikgeschäft sonst überhaupt nicht zu. Aber Polly hat, so scheint es, nichts mehr zu verlieren. Sie fühlt sich offenkundig schwach und ist verzweifelt. Ganz besonders am Ende des Albums, wo Verlust zum vorherrschenden Thema wird. Polly beklagt das Ableben ihrer Großmutter, offenbar eine wichtige Bezugsperson. Sie verabschiedet sich aber auch von Ritualen der Gesellschaft: „Goodbye my friends, goodbye to evening parties.“ Schock! Trauer! Entsetzen! Soll das auch ihr Ende sein? Nun weiß man ja, dass Künstler in autobiografischen Phasen dem Außenstehenden Einblick in ihre Werkstatt gestatten. An sich ist das nichts Besonderes. Was Polly hier zulässt, ist jedoch weit mehr. Sie öffnet die Tür zu ihrer Seele sperrangelweit und singt dabei Lieder, bei denen man nicht weiß, ob man andächtig und ergriffen lauschen oder doch leibhaftig erschrocken sein soll. Auf jeden Fall überwältigt diese kataraktgleich über den Hörer einstürzende Ehrlichkeit.