M.I.A.

Kala

Was vorab geschah: Zwei KALA-Songs feierten Premiere auf M.I.A.s MySpace-Seite; „Bird Flu“ kursierte als Video auf der Homepage, gefolgt von den beiden Singles „Boyz“ und „Jimmy“, einem verdiscoten Bollywood-Cover. Wer die Botschaft all dieser Beats und Bilder buchstabieren wollte, konnte nur D.A.N.C.E. lesen. Die Beats sind erkennbar Beats der Feldforscherin Maya Arulpragasam (30), aufgelesen auf all ihren Reisen zwischen erster, zweiter und dritter Welt (USA, Australien, Japan, Jamaika, Indien). Das Spektrum reicht von Afro- und verkappten House- Rhythmen bis zum elektronischen Flurwärmer „20 Dollar“, der beginnt, als hätte man „Blue Monday“ mit Slams „Lifetimes“ verschaltet. Und irgendwo steht plötzlich eine Pixies-Zeile fast ganz frei im Feld: „Where Is My Mind?“. Sehr sehr verwirrend. Die Symbole und die I-Colour-My-World-Optiken, die aus jeder Ritze des Gesamtkunstwerks M.I.A. springen, verraten eher, wo die Künstlerin auf KALA angekommen ist. Wir schreiben die Stunde der Definitionsüberangebote: M.I.A. als Street Girl der Roots-Riddims, als todschickes Tanzmariechen vor selbstdesignten Revolutionstapeten, als Wortführerin des Ghetto-Beat. M.I.A. bedient aber auch klassische Rock’n’Roll- Phantasien, verpackt in Metall-Beats und die Markenzeichen- „Nananananas“: „Boys there? how many? boys there? how many?“ Motorrad-Jungs, Rowdys, Verrückte? Nur Obacht: „How many start a war?“Maya Arulpragasam, geboren in Sri Lanka, aufgewachsen in London, besucht in ihren ratternden, manchmal rasenden Tracks immer wieder diejenigen, die im globalen Muskelspiel auf der Strecke bleiben. Sie macht einen Film über ehemalige Kindersoldaten in Liberia, arbeitet mit afrikanischen Rappern und dem Wilcannia Mob, der dem Track „Mango Pickle Down River“ einen bauchigen Didgeridoo-Beat schenkt. „Come Around“, ist dieses Bonus-Ding von Timbaland, der die Beats und so ziemlich alles andere hier gebaut hat und M.I.A. mal eben an die allererste Welt des R’n’B-Glam andockt. Wohin noch? „Strike match light fire, who’s that girl called Maya / M.I.A. coming back with power power / I said M.I.A. is coming back with power power“. Die Phase der Identitätsfindung, die ARULAR 2004/2005 noch markierte, hat M.I.A. hinter sich gelassen. KALA drängt aus stabilen Systemen und Zuschreibungen dessen, was Dance, was World und was Rock noch sein könnten, dieses Album lässt die Moleküle tanzen in immer neuen assoziativen Zusammen- stellungen, in diesen „Dingedingedongs“. Und das KALA-Dutzend ist nicht alles, man muss nur die bekannten Blogger im Netz aufsuchen und die Stücke finden, die aus irgendwelchen Gründen nicht auf das Album gefunden haben (suche: „Hit That“). Die heißen Öfen im Verdrängungswettbewerb um die beste mögliche M.I.A.-Platte.

Frank Sawatzki – 09.10.2007

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