The Rakes
Klang
Als 2004 die Single „Strasbourg“ erschien, lag ich ein paar Wochen lang im Hingerissenheitskoma und dachte mir: Wenn diese Band noch eine Platte veröffentlicht, wird sie sich irgendwann wünschen, sie hätte keine Platte mehr veröffentlicht, sondern wäre als die Band in die Geschichte eingegangen, die eine der fünf größten Singles aller Zeiten gemacht hat. Die Rakes haben sich aus der Falle gut herausgezogen, ein großartiges Album gemacht, auf dem kein Song auch nur annähernd wie „Strasbourg“ klang, ein zweites nachgeschoben, von dem sie sich vielleicht hinterher wünschten, sie hätten es nicht gemacht, weil es nicht schlecht war, aber eher was von einer B-Seiten-Sammlung hatte. Und jetzt? Sind sie, weil die Londoner Szene derzeit so langweilig ist „wie ein Sumpf aus Scheiße“, nach Berlin gegangen, um, wie die Phrase lautet, sich „neu zu erfinden“ oder so, und gefunden haben sie dort – sich selbst.KLANG scheppert, rast, schreddert und hämmert gnadenlos vorwärts, ohne Bremse und Zwischenraum, die Gitarren schrappen wie eine Industrienähmaschine, und Sänger Alan Donohoe klingt im Rahmen seiner sicherlich begrenzten, aber wirkungsvollen und charmanten Möglichkeiten zwischen Johnny Rotten und cool-zynischem Klagen so entschlossen, als wäre das hier ein Debüt. Hört man genauer hin, stellt man fest, dass die Songs bei weitem nicht so simpel gestrickt sind, wie sie scheinen; da winden sich Melodien ineinander und bilden gemeinsam neue, drehen sich zu hypnotischen Mustern, und auch die schmucklosen Texte aus dem brutalen Alltag in der Apokalypse des Kapitalismus haben mehr Tiefe, als ihr oberflächlicher Zynismus vermuten lässt. Aber Vorsicht: Für Weichgeister, die sich am Feierabend gerne mal an zarten Folkklängen delektieren oder ein warmes Wannenbad in Radiohead-Schäumen nehmen, ist diese Platte und selbst das „besinnliche“ Finale „Never Get Married“ so empfehlenswert wie eine Zehnerpackung Preludin gegen Schlaflosigkeit.Und wo bleibt der „Berlin-Effekt“? Aus, zum Glück, abgesehen davon, dass Alan Donohoe am Anfang acht Sekunden lang wie der „HEROES“-Bowie klingt. Sorry, dummer Scherz. Man könnte, wenn man möchte, in die synkopenfreie, ungestüme, aber weitgehend total disziplinierte „Motorik“ (bitte englisch aussprechen), die das Album durchzieht wie ein Trans-Europa-Express voller Kettensägen und höchstens mal kurz unterbrochen wird – etwa in „The Loneliness Of The Outdoor Smoker“, mit offenem Raummikro –, einen „deutschen“ Einfluss hineindeuten, aber was hätte man davon? Das Leben ist hart genug, „and we’re here to have a good time“. Ob irgendwann mal der Schädel brummt, ist egal.
Michael Sailer – 06.04.2009
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