Post-Punk/Avantgarde: Auch kurz vor ihrem 30-jährigen Betriebsjubiläum denken Die Goldenen Zitronen zum Glück nicht daran, das Nörgeln einzustellen.

Die FDP liegt in Umfragen bei fünf Prozent. Frida Gold steht an der Spitze der Charts. König Horst von Bayern möchte, dass deutsche Autobahnen für ausländische Wagenlenker gebührenpflichtig werden. Und YouTube-Userin notjust-0815 fällt zu „Eiserner Steg“, einem Lied des Wimmerschinkens vom Seerosenteich – ergo: Philipp Poisel –, dieser Satz ein: „Bin ich die Einzigste die eine super funktionierende Beziehung hat, aber trotzdem immer bei diesem Lied daran zweifelt?“ (Orthografie und Zeichensetzung sind naturbe-lassen). Das ist Deutschland im Jahr 2013, Mitte August; mixin’ pop and politics bleibt hierzulande das, was es schon immer war: eher schwierig. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, dass Die Goldenen Zitronen auch kurz vor ihrem 30-jährigen Betriebsjubiläum überhaupt nicht daran denken, das Nörgeln einzustellen.

Und mit dem Nachdenken machen sie sowie-so weiter. Was für jeden, der sie beim intensiven Nörgeln und drängelnden Nachdenken begleitet, mitunter ziemlich anstrengend sein kann. Und garantiert immer eine Herausforderung ist. Schorsch Kamerun, Politkopf und Punk, Autor und seit über zehn Jahren auch erfolgreicher Theaterregisseur, sprechsingt sich auch auf dem neuen Zitronen-Album, WHO’S BAD (wenn das Jacko noch erlebt hätte!), durch einen gedanklichen Schweinsgalopp. Musik und Text sind bei den Goldenen Zitronen kein akustisches Raumspray, sie sind eine Einheit, die volle Aufmerksamkeit erfordert. Nebenbeihören ist nicht drin. Es geht auf WHO’S BAD um Fitnessmogule und Gründerväter, es geht um große Investoren, große Schweinereien und friedliche Sozialbausiedlungen, und weil Die Goldenen Zitronen als schräge Musikanten das aufrechte linke Gewis-sen der Nation sind, geht es im Themenpark der Band auch immer um Konsum- und Gesellschaftskritik aus der privaten Perspektive.

Kostpröbchen aus dem Textmonster WHO’S BAD, nach ausführlicher Suche zu finden im Lied „Der Investor“: „Hey hey hey hallo der Inves­tor. Ihr seid die kreativen Diven. Wir entziffern eure Hieroglyphen. Wir haben auch so unsere Visionen. In denen könnt ihr arbeiten und wohnen. Ihr habt den Stil, wir die Verwertung. Jetzt bitte keine unnötige Verhärtung. Ihr seid eine unschlagbare Marke.“ Puh, da geraten die Synapsen ganz schön aus der Puste. Ob das noch Post-Punk ist? Ja, unbedingt. Die Goldenen Zitronen geben mit ihren Liedern Anregungen und äußern Gedanken, die eindeutig bis radikal sind; selbstständiges Weiter- und Andersdenken ist hier ausdrücklich erwünscht.