Buch

Das Gebot der Rache

von John Niven

Der erste Thriller des „Kill Your Friends“-Autors.

Zeit wird es: John Nivens „Kill Your Friends“, seine extrem böse und sehr lustige Abrechnung mit der Londoner Plattenindustrie in den Neunzigern, wird mit Rafe Spall in der Hauptrolle des A&R-Mannes Steven Stelfox verfilmt, die Dreharbeiten beginnen bald. Das Drehbuch stammt von Niven selbst, dessen Talent für cineastische Szenen auch in „Das Gebot der Rache“ offensichtlich ist – besonders in dem dramatischen Showdown, einer nicht enden wollenden und doch extrem rasant geschriebenen Szenenfolge, über die hier nicht viel mehr gesagt werden soll, weil es in der Natur des Genres liegt, dass Spannung wichtig ist. Ja, Genre: „Das Gebot der Rache“ ist der erste Thriller von John Niven, der zuvor eher satirische, humorvolle Bücher geschrieben hatte. Doch seine Stammleser dürften nicht sonderlich verstört sein von dieser Geschichte, die hauptsächlich in einem luxuriösen, abgelegenen Anwesen in der kanadischen Provinz Saskatchewan spielt. Dort hat Donnie, ein Filmkritiker, das große Los gezogen: Seine Frau ist Zeitungsverlegerin und die Tochter eines der reichsten Männer der Region. So hat Donnie viel Zeit für seinen Sohn im Grundschulalter und ein paar Drehbuchentwürfe. Doch zunehmend spukt ihm die Vergangenheit dazwischen; eine Jugend im schottischen Ayrshire, mit desinteressierten Eltern, brutalen Mitschülern und viel Geltungsbedürfnis. In den Schilderungen roher Umgangsformen im Schottland der frühen Achtziger ist der Autor Niven ebenso unverkennbar wie in den gelegentlichen Ausbrüchen des Humors, die er sich dann doch nicht verkneifen kann. Als Krimi funktioniert „Das Gebot der Rache“ aber auch ohne das Wissen um Nivens popkulturellen Hintergrund ganz ausgezeichnet. Besonders stark ist, wie schlagartig die zuvor wattig freundliche Realität umschlägt in einen Überlebenskampf – und geschickt, wie in dessen Verlauf die moralische Begründung mitgeliefert und ausgebaut wird.

****1/2 Felix Bayer

Ich schrieb mich verrückt. Texte von Wolfgang Welt 1979-2001

herausgegeben von Martin Willems

Das journalistische Werk des ewigen Geheimtipps der Popliteratur.

Wer einmal etwas von Wolfgang Welt gelesen hat, der kann nicht anders als an ihn denken, wenn er von den Plänen hört, das Bochumer Opelwerk zu schließen. Denn hinterm Opel den Berg hoch, da ist das Zentrum seiner extrem autobiografischen Romane. Die drei ersten sind unter dem Titel „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ zusammengefasst, 2009 folgte „Doris hilft“, sie sind dringend zu empfehlen für Menschen, die sich für das Ruhrgebiet, westdeutsche 80er-Alternativkultur oder atemlos subjektivistische Popliteratur interessieren. Die Hauptfigur dieser Romane schreibt für Stadtmagazine oder Musikzeitschriften – hier sind nun all die Artikel versammelt, deren „Making-of“ Welt literarisch verarbeitet hat. Nun, er war nicht der reflektierteste Musikjournalist aller Zeiten. Doch die Texte haben einen Sound, dem man sich schwer entziehen kann. Und es gibt große Momente zu entdecken: Wie er den frühen Grönemeyer bedauernd, aber vernichtend kritisiert, wie er seine gescheiterten Interviewreisen verarbeitet, mit welcher heiligen Wut er das WDR-Jugendprogramm herunterputzt. Tolle Ausgrabungen!

****1/2 Felix Bayer

Nationalsatanist

von Erlend Erichsen

Ein Roman gibt sich wie ein Insiderbericht aus der Black-Metal-Szene.

Erlend Erichsen war kurzzeitig Schlagzeuger der Black-Metal-Band Gorgoroth aus dem norwegischen Bergen. Prominente Musiker von Gorgoroth haben die Kirchenbrandstiftungen gutgeheißen, durch die Norwegens Black-Metal-Szene weltweit notorisch wurde. Wenn Erichsen also einen Roman im Black-Metal-Milieu handeln lässt, spielt er offensiv die Authentizitätskarte. Er erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, die sich bald Vinterblod und Ljåvold nennen und eine Black-Metal-Band namens Stormvold gründen, Sturmgewalt also. Vinterblod, von Anfang an die treibende Kraft des Duos, wird immer radikaler christen-, gesellschafts-, ja, menschenfeindlich in seinen Ansichten, während Ljåvold, den Erzähler, immer mal wieder Zweifel aus der bürgerlichen, zivilisierten Denke überkommen. Doch schließlich brennt eine Kirche, ist ein Mitstreiter tot, kommt alles so dramatisch wie erwartet. Vinterblods Faszination fürs Außenseitertum vermittelt „Nationalsatanist“ sehr plausibel, das ist die Stärke des Buchs; die eigentlich vielschichtiger angelegte Erzählerfigur pendelt hingegen allzu unvermittelt in ihren Ausschlägen nach Gut und Böse.

***1/2 Felix Bayer

Heavy Cross. Die Autobiografie

Von Beth Ditto

Aus dem tiefsten Arkansas zu Goldenen Schallplatten: das Dokument eines sozialen Aufstiegs.

Beth Ditto mag so manchem inzwischen auf die Nerven gehen, aber es ist nicht zu verleugnen, dass sie eine ungewöhnliche Person im Rampenlicht ist, und dass es eine der besonderen Qualitäten von Pop ist, solchen Personen Platz zu bieten. Und so soll es dem Gossip-Girl gestattet sein, das Ungewöhnliche an ihrem Lebensweg in diesen frühen Memoiren herauszustellen: Da finden wir sie, in schwerstens zerrütteten White-Trash-Verhältnissen in Arkansas; wir erleben, wie sie sich zum Klassenclown inszeniert; wie sie nach und nach die anderen Außenseiter der Umgegend entdeckt; sich ihrer Sexualität gewahr wird, in die Riot-Grrl-Hochburg Olympia, Washington flieht, ihre Band Gossip gründet, vom „NME“ zur Coolness-Ikone gekürt wird: „Erst da fand ich mein Leben seltsam.“ All das erzählt Ditto mit Selbstironie und guten Ratschlägen, aber ohne allzu viel Klatsch. Dass allerdings der deutsche Verlag das im Original etwas kitschig „Coal To Diamonds“ betitelte Buch unbedingt nach dem größten Erfolg von Gossip benennen musste, lässt Beth Ditto mehr nach einem One-Hit-Wonder klingen, als sie eigentlich ist.

**** Felix Bayer

Abenteuerroman

von Gerhard Henschel

Wie Westdeutschland wirklich war: Gerhard Henschel und seine Chronik jugendlicher Ereignislosigkeit.

Der Rubikwürfel, dieses Ding, das in Fernsehsendungen so gerne als Beweismittel für die unbedingte Geilheit der Achtziger herangezogen wird, kommt in diesem Buch vor, wird aber vom Protagonisten nach ein paar Minuten in die Ecke gepfeffert. Auch sonst sind die Insignien des Pop seltene Gäste im vierten Teil von Henschels Tetralogie (es erschienen bereits der „Jugendroman“, der „Liebesroman“ und der „Kindheitsroman“) um das Aufwachsen des jungen Meppeners Martin Schlosser. Stattdessen bleibt Henschel beim Stilmix aus lähmender Ereignislosigkeit – mittlerweile bekämpft Schlosser sie mit Alkohol und Gras – und dem Versuch, jener zu entfliehen. Bedeutet: Bundeswehr, Zivildienst. Verwandtenbesuche, eher komplizierte Beziehung, erste eigene Wohnsituation. Über all dem liegt ein eigenartig grauer und sehr unmondäner Schmierfilm des Gewöhnlichen, den Henschel aber durch Notizen zum politischen Tagesgeschehen und nur scheinbar nebenbei eingestreute Wort-(wieder)-Entdeckungen und -Schöpfungen aufbricht. Am Ende möchte man nicht dabei gewesen sein, damals in den 80er-Jahren. Aber man ist froh, dass einer erzählt, wie es war.

***** Jochen Overbeck