Jay-Z :: Decoded
Lehrreiche Lebenszwischenbilanz in Form von Raptexten.
Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr − es gibt kaum jemand, auf den dieses Sprichwort so sehr zutrifft wie auf Shawn Corey Carter. Oft genug hat sich Jay-Z als den größten Rapper bezeichnet, nicht zufällig trägt er den Spitznamen Hova (von Jehova, also Gott). Mit 12 begann er Crack zu dealen; erst 1996, zu seinem ersten Album, gab er den Hustler-Job auf − als Vollzeitrapper überrundete er Elvis in der Kategorie des Solokünstlers mit den meisten Nummer-eins-Alben. Als Businessman ist er so erfolgreich, dass das Forbes-Magazin ihn kürzlich auf den Titel nahm, zusammen mit Warren Buffett, einem (weißen) Multimilliardär. Nun hat er sein erstes Buch veröffentlicht, mit einem Andy-Warhol-Gemälde auf dem Titel.
Decoded ist eine Art Überbleibsel aus einem autobiografischen Projekt, an dem Jay-Z zusammen mit der Journalistin Dream Hampton arbeitete. Dass hier nicht chronologisch erzählt wird, sondern entlang von Themenkomplexen und dazu passenden Raptexten aus Jay-Zs Werk, ist ein Gewinn. Der Rapper legt größten Wert darauf, seine Lyrics als Kunstform verstanden zu wissen; in detaillierten Fußnoten werden Slangbegriffe ebenso erklärt wie poetische Stilmittel und gedankliche Hintergründe zu den Zeilen. Sehr ernsthaft ist das alles, mit diesen Texten ist nicht zu spaßen, denn immerhin sieht Jay-Z Rap als ein Medium, das dem Teil der Gesellschaft Stimme verleiht, der von den herrschenden Kreisen ruhig gestellt werden soll. Das haben schon andere gesagt, aber nur wenige so eindringlich. Immer wieder stellt Jay-Z Rückbezüge zu seiner Dealer-Vergangenheit her, seine Beschreibungen des Brooklyner Sozialwohnungsprojekts Marcy Houses, aus dem er stammt, sind beeindruckender als so mancher gefeierter New-York-Roman. Nicht verschwiegen wird, dass auch ein Jay-Z seine verletzlichen, zweifelnden Momente hat. Und seinen Helden und Weggefährten zollt er gebührenden Respekt. Im Nachwort deutet Jay-Z an, dass er beim Schreiben die Talkshow-Königin und Rap-Verächterin Oprah Winfrey als Leserin seines Buches imaginiert habe. Bei Menschen wie ihr will er um Verständnis für seinen Lebensweg und um Bewunderung für seine Kunst werben. Oprah müsste schon sehr ignorant sein, wenn dieses eindrucksvolle, persönliche und doch allgemeinverständliche Buch ihre Sicht auf den HipHop im Allgemeinen und speziell auf Jay-Z nicht positiv beeinflussen würde. Und, nebenbei, sehr schön aufgemacht ist Decoded obendrein, mit tollen Fotos und schönen typographischen Akzenten. Großer Rapper, großer Geschäftsmann, großartiges Buch!
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