Dark Night Of The Soul :: EMI
Nicht einfach nur ein Album – ein Meta-Album der Indieszene. Hier wurde Geschichte geschrieben. Und verhindert. Bis jetzt.
Es ist offenbar nicht leicht, eine Plattenfirma zu sein. Als Laie stellt man sich das ja immer so einfach vor. Man stellt sich vor, Brian Burton alias Danger Mouse (Gnarls Barkley, The Good, The Bad & The Queen, Gorillaz, The Black Keys) spaziert ins Büro und sagt: „Hört zu, ich habe auf meinem neuen Album die feinsten Gäste, die jemals jemand auf seinem Album hatte: The Flaming Lips, Julian Casablancas von den Strokes, James Mercer von den Shins, Jason Lytle von Grandaddy, Gruff Rhys von den Super Furry Animals, Vic Chesnutt, Black Francis von den Pixies. Und wo wir gerade bei den Pixies sind: Iggy Pop hat auch mitgemacht. Und Suzanne Vega, für die ich eine Schwäche habe. Die Süße von den Cardigans ist auch dabei, wie heißt die doch gleich? Nina Persson, genau! Tja, und diesen Leuten haben wir, mein Kumpel Mark Linkous von Sparklehorse und ich, genau die Songs geschrieben, die sie selbst gerne geschrieben hätten, wenn sie ihnen eingefallen wären. Maßgeschneidert. Produziert hat das alles ein Mörderproduzent vor dem Herrn, wie ihr vielleicht wisst. Sonst noch was? Ach ja, der Regisseur David Lynch – genau, der mit „Twin Peaks“ und „Blue Velvet“ – hat sich von der Musik zu Fotos inspirieren lassen, die ich sehr lustig finde und gerne als 100-seitiges Buch zusammen mit der CD verkaufen möchte. Sie soll, weil die Texte schon sehr traurig sind, DARK NIGHT OF THE SOUL heißen. Na, wie findest ihr das?“
Nun sollte man meinen, die Leute von der Plattenfirma hätten ihrem Künstler dafür die Sneaker geküsst. Vielleicht war es ja auch so. Aber aus Gründen, für deren Verständnis man wahrscheinlich einen „summa cum laude“-Abschluss in Urheberrecht und ein totales Desinteresse an sensationeller Musik braucht, ist es seinerzeit, im Frühling 2009, zu einer Veröffentlichung von DARK NIGHT OF THE SOUL nicht gekommen. Was Brian Burton, der mit dem GREY ALBUM (sein legendärer Bastard aus dem „White Album“ der Beatles und dem BLACK ALBUM von Jay-Z) bereits einschlägige Erfahrungen mit der, ach, Juristerei gesammelt hat, zu einem originellen Schritt bewog: Er verkaufte auf eigene Faust im Internet die Hülle und das Fotobuch von David Lynch, zusammen mit einer leeren CD und dem Text: „For legal reasons, enclosed CD-R contains no music. Use it as you will“.
Jetzt, endlich, ist es so weit, und nun wird DARK NIGHT OF THE SOUL eben nicht die Platte des Jahres 2009, sondern des Jahres 2010. In Burtons Händen hört Klang auf, aus kunstvoll arrangierten Versatzstücken zu bestehen- und wird zu einem Plasma, über das er frei gebieten kann. „Little Girls“ mit Julian Casablancas zeigt, wohin die Reise bei den Strokes gehen könnte (ins Elektronische), die beiden herrlichen Songs mit Jason Lytle klingen wie Grandaddy auf der Höhe ihrer Zeit (nur besser produziert). Der notorisch unterschätzte Mark Linkous hat tatsächlich Songs geschrieben, die auch von den jeweiligen Künstlern sein könnten – man höre nur „Revenge“ von den Flaming Lips. Leider gilt das auch für das etwas bräsig dahinbluesende „Angel’s Harp“ mit Black Francis. „Pain“ mit Iggy Pop wird lieben, wer Iggy Pop mag. Apropos „dunkle Nacht“: Inzwischen haben sich sowohl Mark Linkous als auch Vic Chesnutt das Leben genommen, und inzwischen hat sich aus dem Projekt DARK NIGHT OF THE SOUL Broken Bells entwickelt, die neue Band von Mouse und Mercer. Wäre DARK NIGHT OF THE SOUL kein Album, es wäre einer der besseren Filme von Quentin Tarantino oder von Robert Altman: fast schon grotesk prominent besetzt, verspielt, verstörend und weltweise. Ein Meisterwerk.
www.dnots.com
Story S. 44
Mehr News und Stories