Joanna Newsom – Have One On Me :: Hülle, Fülle, Liebenswürde

Joanna Newsoms Label Drag City hat eine schwer paranoide Geheimniskrämerei betrieben um das dritte Album der Harfenfrau – und sie funktioniert: Fanforen sowie auf „Material“ wartende Rezensenten sind aufs Delikateste angefixt. Und es gibt ja wirklich interessante Geheimnisse zu krämern. Newsoms zweites Album YS war 2006 ein so verblüffendes, aus sämtlichen Konventionen gefallenes Stück Eigenthch-nicht-mehr-Pop und dabei ein solcher künstlerischer Triumph, dass man sich in der Tat fragen durfte, womit in aller Welt die mittlerweile 28-Jährige dieses Werk-und hier kommt das böse Wort toppen könnte.

Nein, es ist keine noch verstiegenere, sich in Experimenten verzettelnde Platte geworden. Es werden auch nicht noch prominentere Arrangeure und Produzenten aufgefahren – der „größte“ Name in den Liner Notes ist Jim O’Rourke, der ein paar Stücke gemischt hat. Getoppt wird auf den ersten Blick quantitativ: HAVE ONE ON ME ist nicht, wie gemunkelt, eine Doppel-, sondern tatsächlich eine Dreifach-CD geworden – 120 Minuten Musik, 18 Songs, davon sieben knapp an oder weit über der acht-Minuten-Marke. Das ist ein Brett, vor dem man zunächst skeptisch verharrt – und dann fängt man langsam an zu schmelzen.

Die Harfe bleibt – neben ihrer Stimme – Newsoms Hauptinstrument, auf dem sie von handfester Rhythmusarbeit bis hin zu schlechterdings außerweltlichen Klangclustern brilliert, als seien ihre Nervenbahnen damit verwachsen, wenn sie nicht gerade ihre stupende Musikalität in ihr Piano gießt. In den sich verästelnden Songs umspielen sie sparsam-luftig arrangierte Bläser (wenige Streicher), trunken walzernde Percussion, präzise Backgroundgesänge. Hier gibt’s zartesten Folk („In California“), da gospelig Zwischentöne („Does Not Suffice“), dort minimalistisches Jammen mit einer aufmüpfigen Posaune im bislang grooviesten Newsom-Stück, „Good Intentions Paving Company“, es wimmelt vor Einfällen und Details.

Wer erlebt hat, wie sich ihm das labyrinthische YS nach und nach öffnete und er dann monatelang nicht mehr konnte ohne diese LP, weil sie sich in die Synapsen geschmiegt hatte mit ihren 1001 Kostbarkeiten und wem nun nach ein paar Mal Hören einige Songs von HAVE ONE ON ME bereits ähnliche Fülle und Liebenswürde offenbart haben, der ist versucht, auch die zunächst noch blasser gebliebenen Stücke unter Großartigkeitsgeneralverdacht zu stellen. Hier kommt ein Paket Gutes, ein Schatz, von dem sich lange reich wird zehren lassen; wen oder was das letztlich toppt oder nicht, ist doch piepegal.

VÖ: 23.2.

www.dragcity.com

Artverwandtes: The Magnetic Fields – 69 Love Songs (1999), Björk – Vespertime (2001)