Gottes Segen und Rot Front
„Nicht weggeschmissene Briefe“ des großen Abschweifers – ein Füllhorn an wunderbaren Geschichten und Gedanken. Ende 2007 gab Harry Rowohlt der österreichischen Tageszeitung „Standard“ ein Interview, in dem sich folgende Passage findet: „Als mir 2001 der ,Göttinger Elch‘ für meine Verdienste um Humor und Satire verliehen wurde, hielt [Gerhard/ Polt turnusgemäß als mein Vorgänger die Laudatio, die aus einem Wort bestand: ‚Reschpekt.‘ Als wir am nächsten Morgen mehr tot ah lebendig im Hotel beim Frühstück saßen, sagte er: ,Kojt is‘ heraus. Des mias ma ausnützn. Bleima herinn‘.‘ Polt sitzt für die Grünen in seinem Kaff am Schliersce im Gemeinderat. Als er wieder einmal den Vorschlag einer verkehrsberuhigten Zone mit 30 km/h machte, sagte der Bürgermeister: ,Scho aber manchmal pressiert’s halt.‘ Von Polt halte ich unsagbar viel.“ Ein einziges Interview mit Harry Rowohlt ist komischer und trostreicher und erhellender als genau 98,7 Prozent dessen, was als Gegenwartsliteratur kursiert und sogar gekauft wird. Da aber das Interview weithin nicht die Weihen besitzt, eine sogenannte literarische Form zu sein, läutert und kalmiert und unterhält uns nach wie vor kein Auswahlband mit Interviews mit Harry Rowohlt. Sein schweizerischer Hausverlag Kein & Aber möge da mal scharf in Konferenzklausur gehen und anschließend Abhilfe schaffen. Immerhin hat Kein & Aber jedoch vier Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes mit „Nicht weggeschmissenen Briefen von und an Harry Rowohlt“ den irgendwie deutlich folgerichtigen zweiten Band mit ebensolchen Briefen veröffentlicht. Und das entschädigt wenigstens BÜCHER
mich, wenn ich auf meine Liste der unbedingt zu zitierenden Stellen schaue, enorm. Im Dezember 2007 zum Beispiel berichtet Rowohlt, der den Brief als Fähre für Mikroerzählungen, autobiografische Abschweifungen, komplett überzeugende Weftjusticrungen u. v. m. nutzt, von dieser Begebenheit: “ In der Signierpause in der Fabrik kam ein ganz leicht angetrunkener Angehöriger des Prekariats, wollte nichts signiert haben und sagte: ,[Robert] Gernhardt hat es geschrägt; jetzt leben von meinen Idolen nur noch Sie und Henscheid. Passen Sie gut auf sich auj, und eines Tages lassen a i ir es dann alle zusammen da oben…‘, in die Richtung deutend, ,… gefleeecht krachen. ZUSAMMEN MITFLANN O’BRIEN!'“ Solch anrührende, aber auch das Hirn einnordcnde Ausführungen („Lieher hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als daß ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze“) könnte ich in Doktorarbeitsbreite wiedergeben, allein, ich befehle euch bloß: Setzen. Lesen. Anbeten. (Na ja, ein bisschen. Da soll man ja nicht übertreiben.)
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