Eessentielles aus der TV-Steinzeit

Wie fahrlässig Verantwortliche in der Frühzeit des Fernsehens mit dem zu verwaltenden Pop-Erbe umgingen, ließ sich erst im Zeitalter des Kaufvideos angemessen verifizieren. Plötzlich stellte man fest, dassinden weltweiten Archiven sich nicht mehr der Bestand fand, der eigentlich dort hätte lagern müssen. Galt doch weltweit als vorherrschender Tenor dergoldenen TV-Ära, dass Popularmusik keinerlei kulturellen Wert besitze. Ganze Reihen an Musikshows wurden entweder gar nicht erst als MAZ aufgezeichnet. Falls doch, dann entledigten sich die Sender dieser unwiederbringlichen Schätze ganz oderteilweise durch Einstampfung oder Überspielen. Glücklicherweise treffen diese widrigen Umstände auf eine Kultshow nicht zu: Radio Bremens „Beat Club“. Als der am 25. September 1965 im samstäglichen Nachmittagsprogramm startete, hätte wohl keiner der Beteiligten geglaubt, dass die bis zum 9. Dezember 1972 gesendeten 83 Folgen 43 Jahre später noch immer regelmäßig weltweit verlangt werden. Hierzulande lief die legendäre TV-Show allerdings seit Erstausstrahlung nur noch auszugsweise, in einem zwar umfangreichen, aber von „Musikladen“-Plauderer Manfred Sexauer nur leidlich amüsant moderierten Zusammenschnitt. In den vergangenen beiden Jahren machte sich die halbstündige Sendung „Vinyl“ mit teils zuvor ungesendeten Archivnovitäten um die Pflege verdient. Erst jahrelange Bittgesuche eingeschworener Fans beim Sender erwirkten dann das schier Unmögliche: das Komplettpaket beat club vol. 1-3 (Studio Hamburg/ARD Video 6). Fast, muss man einschränkend konstatieren. Denn die minutiöse Restauration auf drei voluminösen Box-Sets mit Jeweilsacht DVDs mussten aus rechtlichen Gründen um Clips der Beatles gekürzt werden. Doch das wäre das einzige Manko, sieht man großzügig über einige faktische Fehler in den Booklets hinweg. In sieben Jahren durchlief die von Regisseur Mike Leckebusch geleitete, von Uschi Nerke mit den wechselnden Partnern Gerd Augustin, Dave Lee Travis und Dave Deeco-moderierte Show mehrere Metamorphosen: Dominierten anfänglich Beat und Pop, erweiterte sich nicht nur das musikalische Spektrum. Von Folge 35 bis 74 kam der WDR als Partner popkultureller Doku-Beiträge hinzu. Ab Episode 51 wurde von Schwarzweißauf Farbe umgestellt. Damit erklomm Leckebuschs psychedelische Aufnahmetechnik neue, ungeahnte Dimensionen. Dauerten die im monatlichen Turnus ausgestrahlten Shows anfänglich 30, dann 45 Minuten, so wurde die Sendezeit ab September 1968 auf runde 60 Minuten erweitert. Zu diesem Zeitpunkt verbannte Macher Leckebusch mehr und mehr kommerzielles Charts-Material. Einzelne Höhepunkte hervorzuheben, könnte man als Frevel am Gesamtkonzept auslegen. Doch zählen sicherlich das im Londoner Marquee-Clubaufgezeichnete Debüt der Jimi Hendrix Experience (1103.67), The Whos kompakter Auszugaus der Rock-OpenOMMY (27.09.1969) und ein gleich auf mehrere Sendungen verteilter Mitschnitt der Rolling Stones vom Frühjahr 1972 aus dem Casino von Montreux zu den Glanzlichtern. Internationale Rock-Prominenz von Black Sabbath bis Taste, von Led Zeppelin bis Grateful Dead, von Jethro Tüll bis Yes tummelte sich im Studio vor Blue-Box-Kulisse und spielte ausnahmlos unter Konzertbedingungen Mit Ike &Tina Turner, Santana. The Byrds und Grateful Dead entstanden gar lange Sessions, die aber nur im Falle von Johnny Cash in Gänze ausgestrahlt wurden. TRex, Alice Cooper.Slade und die göttlichen MC5 sorgten für angemessenen Glamour. Captain Beefheart & His Magic Band veranstalteten ein schräges Happening. Deep Purple drehten subversiv die Verstärker bis zum Anschlag auf. Erste TV-Erfahrungen sammelten die Kraut-Rock-Pioniere Can, Kraftwerk, AmonDüü! II.Frumpy, PopoIVuh, Lucifer’s Friend und Guru Guru. Einen reichlich seltsamen Neustart erlebten The Doorsohne Frontmann Jim Morrison. Und am Schlagzeug von Klaus Doldinge rs Passport saß tatsächlich Udo Lindenberg. Ein unverzichtbares Stück Pop-und TV-Zeitgeschichte, das eigentlich jeder Rock-Fan besitzen muss.

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