Moondog – The viking of sixth avenue

Straßenmusiker, seltsamer Heiliger, exzentrischer Komponist. Gewiss war Louis Thomas Hardin (1916-1999), der später den Namen seines Blindenhundes „Moondog“ trug, noch viel mehr, als die bekannten Bilder des rauschebärtigen Künstlers aus dem Manhattan der 1950er und 60er evozieren; vielleicht war Moondog sogar ein Jahrhundertgenie. Er schrieb Kanons, Couplets, Madrigale, Orgelstücke und kleine Bläser-Sinfonien wie den 1:40-Minüter „Bird’s Lament“,der im Mr.-Scruff-Remix vor ein paar Jahren zu neuer Berühmtheit gelangte. Moondog war ein Tonreihensetzer in eigenem Recht, der weit über seine Ursprünge hinaus wirkte und sich intuitiv dem Gedanken des Pop verpflichtete, indem er Kultur- und Kompositionsprinzipien aufeinandertreffen ließ, wie die jetzt wieder aufgelegte Werkschau the viking of sixth Avenue belegt. Und er spielte mit seinen Rollen: Als die Leute ihn für einen Christus-Darsteller hielten, verwandelte Moondog sich in den Wikinger der Sixth Avenue, mit Speer und Hörnern auf dem Helm. Die skurrile Optik steht im krassen Gegensatz zudem beseelten Anliegen des Musikers Moondog: „Mir geht es um Struktur, Melodie. Form, Entwicklung.“ Aus dem Munde von weniger Berufenen hätte man diesen Satz für akademischen Singsang gehalten, jeder der 36 Tracks der Retrospektive löst den Anspruch Moondogs ein,die Compilation umfasst die Zeit zwischen 1949 und 1995, also fast die komplette recorded history des Amerikaners. Als sein Ideal hat Moondog immer wieder den Kontrapunkt, Zentrum der Kompositionslehre seitdem Mittelalter, bezeichnet. Diese klassische Strenge beherrscht Moondogs Harmonien, darüber hinaus nehmen Stücke wie „Rabbit Hop“ und „Bumbo“ den Polyswing des Afro-Jazz und ein Stück Memphis Soul vorweg. Im diesem Spannungsfeld von Ordnung und Ekstase bewegen sich die kurzen Beatfeste und Talking-Drums-Tracks-Ohrwürmer, die in einer friedvolleren als unserer Welt geboren und nun ins Hier und Jetzt übertragen wurden, beglaubigt von den traffic sounds der sechsten Avenue. Was den kosmischen Musikkurier Moondog für die Popmusik so wichtig macht, ist auch der minimalistische Ansatz: Er arbeitete (abgesehen von seinen CBS-Orchesteraufnahmen) mit geringen Mitteln, mit selbst gebauten Instrumenten und Beats, die er dem Herzschlag der Indianer nachempfunden hatte. Moondog konnte uns Glauben machen, dass er dem Weltgeist auf der Spur war, ohne dass uns je das Vergnügen gegeben worden wäre, eine Idee davon zu haben, was der Weltgeist ist. Die Sounds aber, die er aus seinem Inner Space in die Welt schickte, paralysieren mich wie keine andere Musik-und jedes Mal aufs Neue.

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