„I’m not there“ :: DVD des Monats:
His Bobness – so kryptisch wie das altgriechische Orakel von Delphi. Sich einem solchen Jahrhundertereignis künstlerisch in welcher Weise auch immer zu nähern, bedarf äußersten Fingerspitzengefühls. Regisseur Todd Haynes, der schon Karen Carpenters Biografie in Superstar und David Bowies Werdegang mit velvet goldmine eigenwillig authentisch umsetzte, gelingt mit recht drastischen Mitteln ein Porträt jenes Mannes, der sich Bob Dylan nennt. Anstatt sich auf einen Hauptdarsteller zu konzentrieren, der möglichst authentisch in die Rolle des zu Porträtierenden schlüpft, folgt Haynes Dylans Entwicklung auf recht unorthodoxe Weise. Episodenhaft, ohne lineare Chronologie, kommt der Zuschauer in sechs verschiedenen Handlungssträngen mit sechs unterschiedlichen Akteuren, die auch noch sechs verschiedene Rollennamen – Woody Guthrie, Arthur Rimbaud, Jack Rollins, Robbie Clark, Jude Quinn und Billy The Kid – tragen, der multiplen Persönlichkeit Robert Alan Zimmermans auf die Spur. Der Mensch dahinter bleibt dabei weiterhin rätselhaft. Keine leichte Kost. Aber das ist Dylan ja als Musiker, Komponist und Autor auch nicht. Zumal Todd Haynes auch noch jede Episode dem typischen Arbeitsstil persönlicher Regisseur-Favoriten wie Jean-Luc Godard, Michelangelo Antonioni, Federico Fellini oder Sam Peckinpah widmete und den Soundtrack mit Dylan-Originalen sowie Coverversionen ausstattete. Ein dreidimensionales, mitunter verwirrendes Konzept, das Dylan wohl schon als Treatment gefiel – hätte er sonst das verschachtelte Kunstwerk autorisiert? Noch nicht einmal Martin Scorseses tolle Dokumentation No direction home erhielt die persönliche Weihe des Meisters. Klar dürfte aber auch sein, dass I’m not there kaum zwischen Wahrheit, Traum und Fiktion: das Gesamtkunstwerk Dylan, den Menschen entschlüsselt, sondern vielmehr zur weiteren Legendenbildung beiträgt. Daran kann auch die 2-DVD-Special-Edition in Dolby Digital nichts ändern, die mit über 140 Minuten zusätzlichen Materials, darunter zahllose Interviews, Dokumentationen, Schauspieler-Porträts, Trailer, TV-Spots, Video-Clips, Making-Of, Audiokommentar, unveröffentlichten Szenen und einem Bericht über die Premiere, regelrecht opulent aufwartet. Dem ursprünglichen Wesenskern Dylans am nächsten kommt wohl der 11-jährige Herumtreiber Woody Guthrie, dargestellt von Marcus Carl Franklin, der in den späten 50er-Jahren als Hobo per Eisenbahn durchs Land zieht und einen Gitarrenkoffer mit der Aufschrift „This Machine Kills Fascists“ mit sich herumschleppt. Doch schon der 19 Jahre alte Poet Arthur Rimbaud (Ben Whishaw) hat in einer Mischung aus bitterbösem Sarkasmus und besessener Wahrheitsfindung nur eines im Sinn: öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Ein Wesenszug, der auch den vom wandlungsfähigen Christian Bale verkörperten, mittlerweile erfolgreichen Protest-Troubadour Jack Collins im multikulturellen Greenwich Village der frühen 60er-Jahre auszeichnet. Schlicht spektakulär der Auftritt von Cate Blanchett als Jude Quinn, die den elektrifizierten Dylan der DON’T-LOOK-BACK-Ära mit all seinen typischen Manierismen so authentisch mimt wie keiner ihrer fünf männlichen Kollegen. Eine maßgebliche Periode, geprägt von irrwitziger Selbstzerstörung, überhand nehmendem Starkult und sich steigerndem Karriere-Überdruss. Zu Recht erhielt die Blanchett 2008 den Golden Globe Award als „Beste Nebendarstellerin“ und war beim Oscar in der gleichen Kategorie zumindest nominiert. Auch dem verstorbenen australischen Schauspieler Heath Ledger gelingen eindrucksvolle Szenen als Schauspieler Robbie Clark, der im Privatleben scheitert und Hoffnung im christlichen Glauben sucht. Richtiggehend psychopathisch agiert indes Richard Gere als alternder Outlaw Billy The Kid, der in einer wenig idyllischen Western-Szenerie Wahnvorstellungen nachhängt und dabei auch noch seinem jungen Ich begegnet. Ein gefräßiges, heimtückisches Monster von Film, das ebenso schwer zu greifen ist wie der Porträtierte selbst. >»de.wikipedia.org/wiki/I’m_Not_There
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