The Singles
Der Langzeitkollege von DJ Hell und Labelbesitzer(Kurbel Records) Richard Bartz mit einer neuen 12-lnch auf Hells Gigolo Records:“Midnight Man’s Revenge“ (International Deejay Gigolo Records/Rough Trade) hat mit „Voyager“ einen unklassifizierbaren Dancefloor-Bastard aus deepen House- und Electro-Elementen zusammengebastelt. Die beiden Tracks auf der B-Seite („Minimax 1“ und „Minimax 2“): vertrackter, verschachtelter Minimal-Techno mit ein paar hübschen oldschooligen Space-Disco-Effeketen.
Da wollten wir eigentlich jetzt den Minimal-Techno-Bash eröffnen, und dann das: Die „Backwards On Pony EP“ (Karloff Recordings/Word And Sound/Rough Trade), die aktuelle 12-lnch von Coalition Of The Killing (Jason Short und Marc Smith aus San Francisco) beginnt ziemlich minimal, um dann nach kurzer Zeit zu einer bleependen, mikrofunky und groovenden Hymne zu werden. Auf der B-Seite wird’s dann ein bisschen detroitiger, technoider. Kein Bash vorerst.
Ende Juli beginnt wieder die „Kulmbacher Bierwoche“. Das ist eine Art räumlich extended Oktoberfest, das die gesamte oberfränkische Mittelstadt in Mitleidenschaft zieht. Bier an allen Ecken und Enden. Wahrscheinlich lassen es sich die drei Mitglieder der Dadajugend Polyform (aus Kulmbach) nicht nehmen, auch irgendwo in der Fußgängerzone ein Bier zu sich zu nehmen, es sei denn, sie sind zu cool für so was wie die Kulmbacher Bierwoche. Ihre EP „Sellout“ (Auf die Plätze) klingt ein bisschen wie eine unausgegorenere Variante der Presets, der elektrorockenden Australier, die 2006 so sträflich vernachlässigt wurden. Die Musik von Dadajugend Polyform elektrorockpoppt mit sehr fiesen Basslines, cheesy Sequencerattacken und cool gemeintem Gesang. Das haben die mit Fleiß gemacht.
Jetzt aber der Minimalbash. Sorry, ich habe im Moment zu wenig Methylendioxy-Nmethylamphetamin und zu wenig Kokainhydrochlorid an den synaptischen Spalten, so dass die Neurotransmitter mir nicht einzureden imstande sind, wie toll „Anticipation“ (Sandwell Districtjvon Function ist. Das ist nämlich genau der stumpfe Minimal-früh-um-10-am-Sonntag-morgen-3-Tage-Wach-Techno, der dem Genre seinen schlechten Ruf eingebracht hat.
Bittersüßes von Nick Talbot alias Gravenhurst auf der Doppel-A-Seiten-Doppel-Single „Nightwatchman’s Blues/Farewell, Farewell“ (Warp/Rough Trade). Der „Nightwatchman’s Blues“, eine halbdunkle Moritat über die Machtlosigkeit des Medienkonsumenten in Zeiten des Krieges: Er sieht die Fernsehbilder und kann nichts tun. Auf der B-Seite dann „Farewell, Farewell“ von Fairport Convention in einer The-Jesus-And-Mary-Chain-treffen-Spaceman-3-Version. Plus zwei Songs aus BBC Sessions. Doppel-7-lnch, handnummeriert, weltweit auf 1300 Exemplare limitiert, mit jeweils individuellem Coverartwork.
Wieso die Berliner Band Jennifer Rostock auf diesen Seiten bisher noch nicht aufgetaucht ist, lässt sich anhand der neuen Single „Feuer“ (Warner) sehr gut erklären. Nein, nein, nicht weil Sängerin Jennifer (die nicht Rostock mit Nachnamen heißt, wie das Protokoll beweist) so eine schrille/freche/unangepasste junge Frau ist, die kein Blatt vor ihre Berliner Schnauze nimmt, sondern weil selten eine Band in der letzten Zeit so dermaßen unreflektiert und anspruchsfrei eine Stilrichtung (in diesem Fall: NDW/Punk-Pop) kopiert und dabei überhaupt nicht kapiert hat, worum es eigentlich geht.
Fakten: Nina Marie heißt das „Projekt“ von Thomas Götz, dem Schlagzeugerder Beatsteaks, und Märten Ebsen, dem Gitarristen von Turbostaat. Und bei der Doppel-A-Seite „Wir hören die Tweaks/Hotel am Park“ (Same Same But Different/Warner) handelt es sich nach unserer Rechnung um die zweite Single. Wir hören nicht nur die Tweaks, sondern auch angepunkten LoFi-Rock, der dem der Hauptbands der beiden Protagonisten noch einen draufsetzt. Wir hören auch: Gesellschaftskritik ohne Hippiegefasel.
Komisch, dass sich die Engländer manchmal ausländische qualitätsfreie Kopien der Musik, die sie selber am besten machen können, andrehen lassen. The Rain wurden vom britischen La bei Mantaray in Berlin entdeckt und unter Vertrag genommen. Über die erste Single des Trios, „Big Lie“, soll halb England ausgeflippt sein. Jetzt kommt „Symmetry“ (Mantaray/GrooveAttack) nach. Und das ist wie Jennifer Rostock auf Indie-Brit-Popyou-name-it gebürstet. Aalglatt produziert (von Placebo-und Blur-ProduzentTheo Miller). Tausendmal gehörte Musik-Mimikry. Und garantiert song-, aber nicht akzentfrei.
Da glaubt man an nichts Gutes mehr, und plötzlich liegt „FriendlyFires“ (UnterSchafen Records/Alive) auf dem immer kleiner werdenden Stapel. Das ist eine Sieben-Track-EP der Neuseeländer So So Modern. Und diese EP hat sich gewaschen. Wobei nicht ganz klar ist, ob sich EPs überhaupt waschen und falls ja, welche Vorteile das für sie bringen würde. Oder für den. der sie sich anhört. Auf jeden Fall ist das postmoderner, elektroinfizierter Noise Pop. Mit hübschen quietschenden, die Tonleitern rauf und runter fahrenden Analogsynthesizern, brummigen Basslines und diesem hektomatischen Gesang,den manche bei CrystalCastles als ziemlich nervtötend empfinden. Manchmal nimmt dieser musikalische Wahnsinn sogar progrockige Arrangements an.
Das wird ja immer besser nach hinten hinaus. White Williams nennt sich das Projekt des Amerikaners Joe Willams, dessen Full-Length-AlbumsMOKE in der Mai-Ausgabe dieses Magazins überden grünen Klee gelobt wurde. „New Violence“ (Domino/Indigo) heißt die hübsche 7-lnch auf pinkfarbenem Vinyl. Die A-Seite: ein ausgetickter, psychedelisch unterfütterter Elektro-Rock-Popper. Auf der B-Seite dann eine Coverversion, deren unzählige vorangegangene Versionen wahrscheinlich weitaus bekannter sind als das Original: „I WantCandy“, 1965 von The Strangeloves aufgenommen, im Lauf der Jahre von BowWow Wow.Aaron Carter und Melanie C interpretiert. Der Bo-Diddley-Beatpasst wunderbar zur laptopischen Weirdness von Joe Williams.
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