Kristeen Young – The Orphans

Es gibt Frauen, mit denen möchte man weniger gerne streiten müssen als mit Kristeen Young. Aber nicht viele. Wer erlebt hat, wie sie letztes Jahr im Vorprogramm von Morrissey (und von diesem persönlich eingeladen, obwohl niemand in Deutschland Youngs Platten „offiziell“ veröffentlichen mochte) mit Schlagzeuger Jeff White und einem Offenbar vier Wochen in Salpetersäure eingelegten Keyboard karge Riesenbühnen in ein Intiminferno von bis auf die Knochen nacktem Gefühl verwandelte, dem blieben nur zwei Möglichkeiten: mit gesträubten Haaren und Knielähmung davonschleichen und auf dem Klo warten, bis die Lava endlich erstarrt. Oder mit offenem Mund dastehen, sich bis in die Grundfesten des Unterbewusstseins erschüttern lassen und so in sie verlieben, wie man sich in seine eigenen Eingeweide verlieben würde, wenn man sie plötzlich auf einer Bühne sähe: Sie sind weder hübsch noch sexy, aber konkret und wahr und lebenswichtig, Konzertbesucher der zweiten Kategorie gab es, wen wundert’s, nicht viele; wer sich in der Toilette versteckt hat, sollte aber zumindest einen neuen Versuch wagen: Auf Platte (dies ist bereits Kristeen Youngs fünftes Soloalbum) sind die Songs der halbdeutschen Halbapachin, die bei christlichen Fundamentalisten aufwuchs und Musiktheorie studiert hat, ohne sich davon akademisieren zu lassen, um einiges zugänglicher.Vorsicht ist trotzdem geboten, weil man ihr, wenn man den ersten Schrecken überwunden hat und der Magnetismus spürbar zu wirken beginnt, rasend schnell verfällt, so wie Morrissey, David Bowie und Tony Visconti (der vor acht Jahren ein Demo zugeschickt bekam, am Telefon hing, bevor die CD überhaupt durchgelaufen war. und ihr seitdem als Produzent, Mixer, Fotograf und-laut Covertext-Putzfrau dient). Zwischen brachialer Romantik, selbstmörderischem Furor, glazialer Melancholie und umreißendem Melodietriumph packt sie alles aus und an, was Popmusik an echten, existenziellen Lebensregungen hergibt (Popmusik? Aber sicher, Popmusik!), erinnert dabei mal an eine junge PJ Harvey unter Starkstrom, mal an Frau Peaches ohne all die laute Sexreklame, mal an eine nackte, blutig verschrammte Kate Bush, und lässt sie doch alle hinter sich. Selten war Schmerz so schön, so gut.

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