Derek Bailey – Standards :: All That Jazz

Als vor sechs Jahren der englische Avantgarde-Gitarist Derek Bailey sich solchen heiligen Jazz-Balladen wie „Body And Soul“ und „Stella By Starlight“ annahm, kratzte er ihnen radikal die melancholische Schutzschicht ab. Und plötzlich standen sie vollkommen nackt da, plötzlich war bei diesen zerbrechlichen Sound-Stelen kaum etwas mehr von den lieb gewonnenen Melodien zu vernehmen. Von diesen faszinierenden Schockerlebnissen musste man sich erst einmal erholen. Weshalb erst jetzt, zwei Jahre nach Baileys Tod, eine weitere Sammlung von sieben Jazz-Klassikern erscheint, die Bailey ebenfalls 2001 in New York und unter der Supervision von John Zorn improvisiert hatte. Wie weit Bailey die Originale in einen aufregend neuen Zustand überführte, lässt sich allein schon an den Titeln ablesen. Aus „What’s New?“ von Bob Haggard/Johnny Burke wurde „Nothing New“, aus Hoagy Carmichaels „Rockin‘ Chair“ gar „Please Send Me Sweet Chariot“ Und nur selten geben sich die Standards in ihrer vollen Pracht zu erkennen in diesen fulminant konzentrierten Form- und Deformierungsprozessen, bei denen Bailey zum Action Player wurde und damit musikalisch den Weg fortschritt, mit dem abstrakte Expressionisten wie Jackson Pollock die bildende Kunst durcheinandergeschüttelt hatten. Fernab von allen Reglementierungen tupft Bailey seine Klangfarben über- und nebeneinander. Dann lässt er seine scharf geschliffenen Gitarrensaiten in die Palette hineinfahren, um wild funkelnde Prismen zu generieren. Bei aller scheinbaren Ungehörigkeit, mit der der damals 71-Jährige sich das Jazz-Erbe zu eigen machte, schimmert doch in diesen ungeheuren Visionen immer ein Respekt durch-vor den stimulierenden Fundamenten des Jazz, auf denen Bailey seine sonderlichen, aber insgeheim doch so vertrauenswürdigen Klangfiguren in Bewegung setzte.

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