Judee Sill – Live In London: BBC Recordings 1972-1973

Nur eine Handvoll Material hat die amerikanische Singer/Songwriterin hinterlassen: zwei hervorragende Alben, Judee Sill und Heart Food, auf einschlägigem kalifornischen Label, und eine mythenumrankte Legende, die ihren tragischen Tod im Jahr 1979 im Alter von gerade mal 35 Jahren überdauert hat- Zur Westcoast-Hochzeit Anfang der 70er-Jahre weniger im eigenen Heimatland, dafür um so mehr im trendbewussten England als „Next Big Thing“ favorisiert, darf Judee Sill für sich ebenfalls in Anspruch nehmen, die erste Künstlerin auf David Ceffens gerade gegründeter Plattenmarke Asylum zu sein. Hochgelobte Auftritte der vielgepriesenen in der BBC-Fernsehshow „Old Grey Whistle Test“ und bei drei weiteren Radio-Sessions bei demselben Sender unterstrichen Judee Sills makellose Attribute: genial wie Joni Mitchell, eindringlich wie Carole King, spröde wie Laura Nyro und zauberhaft wie Judy Collins. David Geffen kam an dem facettenreichen Multitalent nicht vorbei – und ließ sie doch abrupt fallen, nachdem sie ihren damals noch nicht geouteten Chefin Interviews schwarzhumorig, aber nicht bösartig als Homosexuellen karikierte. Nachdem schon der TV-Clip in der „Old Grey Whistle Test“-Reihe auf DVD zu sehen war, feiern nun auch die am 5. April 1972 für „Session With Bob Harris“ sowie die am 23. März 1972 im Paris Theatre und 15. Februar 1973 im Golders Green jeweils für die Reihe „In Concert“ aufgezeichneten Mitschnitte auf Live In London: BBC Recordings 1972-1973 Premiere. Dazu: ein sich zum Teil überschneidender Auszug von 18 Tracks ihrer beiden Alben, darunter Klassiker wie „Jesus Was A Crossmaker“, „Lady-O“, „The Phoenix“ und „Down Where The Valleys Are Low“, die von diversen Interpreten gecovert wurden. Mal mit, mal ohne Publikum begleitet sich Judee Sill selbst entweder auf der Akustikgitarre oder auf dem Piano. Plaudert selbstsicher und ironisch zwischen den einzelnen Takes, erzählt aus ihrem unsteten Leben und erweckt nicht im Geringsten den Anschein einer tragischen Existenz. Doch die Lebensgeschichte der burschikosen Künstlerin mit der Nickelbrille spricht eine ganz andere Sprache: Von einer alkoholkranken Mutter und einem Vater, der einst einen Oscar gewann und die junge Judee wohl auch sexuell missbrauchte, ist da die Rede-was ihr zwangsweises frühes Abnabeln und ihr jahrelanges Herumvagabundieren erklären würde. Dazu gesellte sich eine frühe erste Ehe, die tragisch endete, als der Gatte auf Drogen tödlich verunglückte. Aber auch Judee Sills fast schon surrealer Glaube an Gott und dessen Antipode, mystischer Okkultismus, geistern in mythenhaften Anekdoten noch immer in den Erzählungen über ihr Leben herum, über die Zeit vor und nach ihrer kurzen Künstlerkarriere, wo sie als Prostituierte tatig gewesen sein soll, die sich auf diese Art ihre tägliche Heroindosis erwirtschaften musste. und auch drei Monate wegen illegalen Drogenbesitzes im Gefängnis saß, durfte in den hochmoralischen USA lange Zeit noch nicht einmal hinter vorgehaltener Hand gesprochen werden.

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