Faust – So Far

Anfang 1971 suchte der deutsche Branchenriese Polydor geeignete Musiker für ein Projekt, das in ländlichem Studio innovative Konzepte entwickeln sollte.

Die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz so neue Idee-1967stellte Island-Label-Chef Chris Blackwell auf ähnliche Weise Traffic im britischen Provinzidyll Berkshire zusammen – wurde vom Journalisten Uwe Nettelbeck umgesetzt. Der war Filmkritiker der „Zeit“ und fungierte als Mitherausgeber des Policmagazins „Konkret“. Ein Name für die Band stand auch schon fest: Faust – nach der Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe. Den Zuschlag erhielten als Erste Rudolf Sosna (Gitarre, Keyboards), Jean-Herve Peron (Bass, Gitarre, Gesang) und Gunter Wüsthoff (Saxofon, Effekte). Wenige Tage später gesellten sich noch Werner Diermaier (Schlagzeug), Joachim Irmler (Orgel, Elektronik) und Arnulf Meifert (Schlagzeug) von der Band Campylognatus Citelli hinzu. Eine leerstehende Schule in Wümme, Nordheide, wurde zum Domizil erkoren, der Hannoveraner Ingenieur Kurt Graupner stellte die komplizierte Soundanlage inklusive Achtspurgerät. Das im Herbst gleichen Jahres resultierende erste Album – im transparenten Cover erschienen und heute ein unbezahlbares Sammlerstück – war seiner Zeit weit voraus. Nur dämmerte das damals – zumindest in Deutschland – den wenigsten. Im Gegenteil: Es hagelte Kritik, Spott und Häme. In England kam die zwischen Can und Amon Düül II spröde angelegte Avantgarde-Musik wesentlich besser an. Ergo erschien der ohne Arnulf Meifert 1972 entstandene, auf Intervention der Polydor zugänglicher geratene Zweitling sofas zuerst in Großbritannien. Freunde leicht konsumierbaren Kuschel-Pops seien dennoch gewarnt: Auch 35 Jahre später präsentiert sich so far noch immer als höchst eigenwilliges Klangerlebnis. Superb der Einstieg mit „It’s A Rainy Day, Sunshine Girl“: Velvet-Underground-Monotonie trifft auf die hypnotische Einsilbigkeit von Hot Legs „Neanderthal Man“. Dazu gesellt sich Gitarrengeschrammel und verschrobener Teutonen-Gesang. „On The Way To Abamäe“ offeriert akkurat Gezupftes auf klassischer Akustik-Gitarren-Basis. Großorchestiert jazzig schlängelt sich das zehnminütige „No Harm“ in die Sinne, bevor es sich im futuristischen Amplituden-Schwall dann doch noch zur vertrompeteten Gitarren-Ballade verschrägt. Im Titelstück nehmen Faust den instrumentalen Post-Rock der 9oer-Jahre vorweg. „Mamie Is Blue“ verballhornt in grausamer Dissonanz die liebliche Gospel-Pop-Ballade der Pop Tops. Fast schon konventionell: „I’ve Got My Car And My TV“, das sich in störrisch-kindischem Gesang über den Materialismus des Durchschnittsbürgers lustig macht und in die 30-sekündige John-Coltrane-Reminiszenz „Picnic On A Frozen River“ mündet. Eine Beatles-Persiflage zwischen „Revolution No. 9“, „What’s The New Mary Jane“ und „You Know My Name (Look Up The Number)“ schleicht sich schließlich ins zweiteilige Finale „Me Lack Space…“ und „… In The Spirit“ ein. So viel Mut zum Experiment honorierten die britischen Plattenkäufer mit Platz 13 in den Alben-Charts, die Deutschen dagegen weiterhin mit Ignoranz.

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