Rolling Stones – The Biggest Bang

Wie begegnet man einer Rockband im 46. Jahr ihres Bestehens? Mit Respekt, weil sie in jungen Jahren die Popkultur entscheidend geprägt hat. Weil sie trotz zahlreicher Tiefschläge noch immer am Leben ist. Weil sie zeitweise großartige Musik geschaffen hat. Weil ein ruhmreich verrunzeltes Rock’n’Roll-Tier wie Keith Richards unter Artenschutz gestellt werden muss. Oder man urteilt grundsätzlich despektierlich, weil die Rolling Stones spätestens seit Mitte der Siebziger alle paar Jahre das gleiche Album noch einmal neu aufnehmen. Nur nicht so gut. Weil sie längst zu einem familienfreundlichen Produkt der Unterhaltungsindustrie verkommen sind, das mit seinem Geschäftsgebaren an einen Großkonzern erinnert. Weil ein Box-Set mit vier DVDs im Schuber und einem Superlativ im Titel von Saturiertheit und Prunksucht kündet. Weil alten Männern, die über gigantische Bühnen hasten, etwas Würdeloses innewohnt. Man kann natürlich auch die so pompös wie perfekt inszenierten Live-Shows der Rolling Stones aus den Jahren 2005/2006 einzig nach ihrem Unterhaltungswert beurteilen. Was das Dilemma aber auch nicht löst. Denn was dann übrig bleibt, egal, ob in Austin, Buenos Aires oder anderswo, ist eine konservative, routiniert arbeitende Bluesrock-Band mit einem zweifellos brillanten Sänger und ein paar großen Songs. Das ist nicht wenig, doch die relevante Musik spielt heute woanders. Das tat sie allerdings schon vor 30,35 Jahren. Hilft das also weiter? Auch nicht. Der Wert der Rolling Stones bemisst sich offenbar nach völlig anderen Kriterien. Nur: nach welchen? Die Band hätte sich längst auflösen können, Sollbruchstellen gab es genug. Dass Geld beim Weitermachen die entscheidende Rolle spielte, darf man ausschließen, denn davon haben diese vier verwitterten Gestalten schon lange mehr als genug. Also sind es Überzeugungstäter, die einfach nichts anderes sein wollen als Rockmusiker und deren Selbstbild geprägt ist von der Weigerung, sich wie Männer zu benehmen, die den 60. Geburtstag schon hinter sich haben. Und das ist weit weniger verurteilenswert als rührend. Wären sie Jazzer oder Bluesmusiker, würde man ihre Reife und Coolness bewundern, doch irgendwo existiert eben eine Steintafel, in der eingemeißelt steht, dass Rockmusiker jung sein müssen und ihre Karrieren besser mit spektakulären Todesfällen beenden, als im Viagra-Alter „Let’sSpend The Night Together“ zu röhren. Diese Steintafel komplett zu ignorieren, ist allerdings ein subversiver Akt, das schlichte Weitermachen ist plötzlich Rebellion. Dem kann man mit Süffisanz begegnen, denn die Musik der zeitgenössischen Rolling Stones wird dadurch auch nicht relevanter. Man darf aber auch einfach nur wohlwollend erstaunt darüber sein, dass es eine Rockband gibt, die fast so alt ist wie die Rockmusik, und die – zeitweise noch immer mit Energie und Leidenschaft an die Arbeit geht. Dazu legt man dann Pulps „Help The Aged“ auf, in dem Menschenfreund Jarvis Cocker uns Zynikern ins Gewissen singt: „Help the aged, don t just put them in a home, can’t have much fun in there all on their own.“

www.rollingstones.com