Diverse – Mute Audio Documents 1978-1984

Independent Labels? Da war doch mal was. Als Großbritannien sich zur Punk-Ära einem Dauerbombardement aus Chaos, Nihilismus und Anarchie ausgesetzt sah, entwickelten sich neue Geschäftsphilosophien: Was bis dahin hauptsächlich alteingessesene Majorfirmen verantworteten, ging über an Klein-Labels, die Wie die Pilze aus dem Boden schössen und den direkten Draht zum Nischenpublikum besaßen. Dem wohl wichtigsten, Mute Records, wird Tribut gezollt in Form der 8-CD-Box Mute Audio Documents 1978-1984. Daniel Miller, Initiator und Kreativkopf in Personalunion, dachte anfangs weniger über Künstler nach, die er unter Vertrag nehmen könnte, sondern schuf sich ein Vehikel für seine eigenen, per Elektronik-Equipment im Schlafzimmer produzierten Werke; Die mit 128 Tracks bestückte Werkschau wird eröffnet vom The-Normal-Single-Debüt „T.V.O.D./Warm Leatherette“, das 1978 in den einschlägigen Londoner Clubs rauf und runter rotierte. Doch sollte das vor mehr als fünf Jahren vom Branchenriesen EMI zumindest zum Teil wegen Liquiditätsproblemen aufgekaufte Imperium Mute jahrzehntelang maßgeblich vom Erfolg einer Band zehren: Depeche Mode. Dabei lief der Start Ende 1979 wahrlich nicht schlecht, wie Synthie-Popund Techno-Pionier Miller, der seit mehr als 20 Jahren in einer kleinen Londoner Wohnung lebt, sich erinnert: „Eine komplett verrückte Zeit. Innerhalb eines Jahres hatten wir zwei Multiplatin-Künstler auf Mute: Depeche Mode und Yazoo. Ich musste in diesen frühen Jahren im Studio koordinieren, aber auch möglichst genug Vinylplatten pressen lassen.“ Tatsächlich war der Output der Company in den ersten Jahren enorm. Offerten talentierten Nachwuchses flatterten allerdings in Mr. und Mrs. Millers Briefkasten – noch bis 1983 fungierte die Adressevon Daniel Millers Eltern als offizielle Postanschrift des Labels. Darunter auch spätere Label-Klassiker wie Fad Gadget alias Frank Tovey. Non, Robert Rental, Boyd Rice, Smegma sowie natürlich Depeche Mode und Yazoo. Unter den ersten Verpflichtungen finden sich neben Millers Pseudonym-Projekten The Normal und The Silicone Teens auch drei deutsche Acts: Liaisons Dangereuses, Deutsch-Amerikanische Freundschaft sowie Die Doraus und die Marinas – für den Kraftwerk-, Neu!- und Can-Fan Miller fast schon Pflicht. D.A.F.-Multiinstrumentalist Robert Görl lieferte Solistisches u.a. im Gespann mit Eurythmic Annie Lennox, während die Einstürzenden Neubauten sich ihre Position als Favoriten des deutschen Feuilletons erst noch erarbeiten mussten. Nachdem Ende von Yazoo gründete Ex-Depeche-Mode-Mann Vince Clark mit Undertones-Sänger Feargal Sharkey The Assembly, bis er für das Nachfolge-Duo Erasure in Andy Bell das männliche Pendant zu Alison Moyets Soultimbre fand. Mit NickCave &The Bad Seeds schließlich orientierte sich Mute erstmals auch über den Elektronik-Tellerrand hinaus. Doch das ist eine andere Geschichte, die ausführlicher wohl erst im zweiten Teil aufgearbeitet wird.

www.mute.de/