Low – Drums And Guns :: Die Wiederentdeckung der Langsamkeit
Wie das schon losgeht. Etwas, das klingt wie eine elektronisch verzerrte Drehleier, schleppt sich über ein Feld aus dezent splitterndem Gitarrenfeedback, und darüber singt, nein lamentiert Alan Sparhawk über „all you pretty people“, die auch irgendwann einmal sterben müssen. Der Song heißt „Pretty People“ und führt ein in ein dunkelgraues, zeitweise schwarzes Album, das als Lehrstunde in popmusikalisch aufbereitetem Existenzialismus durchgehen kann. Das Trio aus Duluth, Minnesota, operiert wieder einmal außerhalb der Zeit, lässt sich formal nicht in zeitgeistige Rezeptionsschemata pressen – und inhaltlich schon gar nicht. Weil diese Platte überhaupt Inhalt hat. Sie hat etwas zu sagen. All den „Pretty People“ da draußen, die ihre Zeit verschwenden, indem sie die Zeit totschlagen. Zeit, Zeit, Zeit. Low nehmen sich Zeit für die Zeit. Zeit als Tempo, das in der Musik schmerzhaft verlangsamt werden kann, Zeit im Sinne von Zeitgeist, der immer einen willkommenen Anlass bietet für existenzphilosophische Betrachtungen: „All soldiers. They Ve allgonna die. And all the little babies. They’re allgonna die. All thepoets. And all theliars.Andall you pretty people. You ‚re allgonna die“, singt Sparhawk und braucht drei Minuten, um diese 31 Wörter zu singen, und dabei entstehen nicht einmal große Lücken.
Das letzte Low-AlbumTHE great destroyer war Anfang 2005 schon eine große Überraschung, weil man von Alan Sparhawk, Mimi Parkerund Matt Livingston keine großen Überraschungen mehr erwartet hatte, sondern einfach ein weiteres gutes Low-Album in einer Reihe mit den anderen guten Low-Alben seitdem Debüt could live in hope im Jahr 1994. Lieder wie „Monkey“ und „California“ rockten auf THE GREAT DESTROYER – nicht nur im übertragenen Sinn – gewaltig breitwandig und offensiv, so als wollten Low ihrer Botschaft von Sufatilität und Intimität Nachdruck verleihen. Wir können auch anders. Anders als beim „Slowcore“, wie man in den 9oer-Jahren diese Musik nannte, die auf dem Fundament des Folk Melancholie, Zweifel und Verzweiflung in quälend langsame, zeitlupenhafte Tonfolgen übersetzte. Das war ein hübsch verwirrender Kontrapunkt zum Grunge, der ja auch nur inhaltliche Leere mit Krach übertünchen wollte und somit in der großen rockmusikalischen Tradition der Inhaltslosigkeit stand.
Low galten damals als die langsamste unter den Slowcore-Bands. Diese Prä-THE GREAT DESTROYER-Langsamkei t, diese charmante Unrockbarkeit ist wieder da auf dem achten Album des Trios, aber dank Produzent Dave Friedman (of-Flaming-Lips-fame) erfahren Low hier einen formalen Richtungswechsel, der das Gesamtbild nicht durcheinanderbringen, die Identität dieser Band zu keiner Zeit beeinträchtigen kann. Wie auf drums and guns kleine elektronische Spielereien, programmierte Drums, geloopte Streichersamples, sanfte Verzerrungen, meditative Repetitionen, Mundharmonikaklänge wie aus einem fiebrigen Traum – wie diese sphärische, teilweise bewusst „unsaubere“ Ambience diesen kleinen, gewaltigen Songs für die Ewigkeit, die bei Bedarf in den siebten Hymnenhimmel aufsteigen, zu Gesicht steht, ist nicht weniger als sensationell, drums and guns hat ein paar dunkelgraue Geschichten über Mord und Tod, über Freiheit und über die Liebe zu erzählen – Geschichten, die sich zwischen elektronisch generierten östlichen Meditationen, folkverwandter Minimalmusik, gospeligen Hymnen und schwer dechiffrierbaren Geräuschmalereien verstecken. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Low sind nicht deshalb plötzlich großartig, weil sie jetzt „auch was mit Beats machen und so“. Americana-Folk-Slowcore mit elektronischen Spielereien ist ein alter Hut aus den 90er-Jahren, ein verzweifelter Versuch, einem aus der Mode gekommenen Genre einen pseudomodischen Anstrich zu verpassen. Low waren auf ihre eigene Art schon immer großartig, nur dass diese Großartigkeit mit drums AND GUNS, dieser seltsam guten Synthese aus elektro-akustischer Musik und Text ihren Höhepunkt erreicht.
Diese Platte ist außerdem auch noch hübsch akkurat abgemischt – wie ein Beatles-Stereo-Album aus den frühen 60er Jahren. Der Gesang auf dem rechten Kanal, die» Musik mehrheitlich auf dem linken. Wem das eine oder das andere zu viel ist, kann ja einfach einen Kanal wegdrehen. Das sind dann drei Platten in einer- und eine hübsche Serviceleistung dazu. VO: 23.3.
www.chairkickers.com Discografie:
I Could Live In Hope 199:-Long Division (beide vernon Yard) 1996 The curtain Hits The Cast (Caroline) 1999 Secret Name (Kranky) 2001 Things We Lost In The Fire 2002 Trust 2002 A Lifetime Of Temporary Relief: 10 Years Of B-Sides And Rarities (3CDs) (alle Rough TrarJe) 2005 The Creat Destroyer 2007 Drums And Cuns (beide Sub Pop/Cargo)
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