Kurz & Klein
Man lebt als Mensch, der schreibt, in merkwürdigen Zwischenzeiten, die sich überlappen und herumschwummern, dass man manchmal gar nicht mehr recht weiß, wer, wo und wann man ist. Zum Beispiel schaut man aus dem Fenster in das sowieso komplett deregulierte Wettertheater, ahnt den nahenden Schnee, möchte ihn wortend würdigen und ahnt aber: Wenn dies als gedrucktes Dokument in die Welt hinaustritt, ist alles längst ganz anders. Eine Binsenweisheit, aber eine realiter wirksame, zumal den Soundtrack zum verwehten Gesternklima Musik liefert, die, wiewohl konserviert, es noch gar nicht gibt, wenn man sie hört, und die zugleich, unwillkürlich oder gewollt, an anderes erinnert, ganz anderes aus manchmal fernen Zeiten.
Der Österreicher Max Min zum Beispiel, ein nicht arg entfernter Monta-Verwandter. Dem empfehlen wir Nachhilfestunden in den Fächern Songwriting und Originalität, weil der träge, melodiös gemeinte Wohnzimmer-Pop auf BRIGHT IS THE SILENCE (Kalinkaland/Broken Silence) zwar angenehm, stellenweise hübsch hymnisch und raffiniert tönt, aber außer Erinnerungen an alles Mögliche zwischen Spät-Beatles, Westcoast und Elliott Smith doch recht wenig hinterlässt, vor allem nichts, was mit ihm selbst zutunhat.Das gilt auf gänzlich andere Weise auch für Harmful. die laut Album titel7 (Nois-O-Lurion) inzwischen in der siebten Noiserock-Klasse angekommen sind und aber bei aller spielerischen/produktionstechnischen Kompetenz und trotz ein paar schönen psychedelischen Melodiepassagen leider die notwendige Inspiration vermissen lassen und deshalb statt der von solcher seit eineinhalb Jahrzehnten in einer Zeitschleife rotierenden Musik im (seltenen) besten Fall hervorgerufenen Lärmstrudelekstase samt Levitation und Sinnesrausch nur Indifferenz und Müdigkeit erzeugen. Könnte live anders sein, indes: Non vitae, sed scholae discimus! Und wo wir schon dabei sind: Ein klassischer Fall von Spätversetzung sind die belgischen Hollywood Pornstars, deren Ende 2004 in nur vier Tagen praktisch live eingespieltes Debütalbum YEAR OF the TIGER (Naive/Indigo) im Februar 2005 erschien und somit 24 Tigermonate brauchte, um es über die Ostgrenze nach Deutschland zu schaffen. Dass das nicht von selbst viel früher passiert ist, macht misstrauisch, und tatsächlich wäre das, was man da zu hören kriegt, vor zwei Jahren in der Pop-Mittelliga nicht schlecht aufgehoben gewesen. Leider haben die damaligen Klassenkameraden inzwischen längst das Abi-tur hinter sich, und für einen direkten Zugang zur 2007er-Pop-Eliteuni fehlt es den Nachzüglern an zündenden Ideen, Identität und überdurchschnittlichen Songs. Nur die absurd überkandidelte Glam-Hymne „Hollybody könnte eine Ausnahme sein – ein Fall für findige DJs. Und ein guter Übergang zu David Vanderfelde, der neun Jahre nach Marc Bolans Tod geboren ist, was einen gewissen Reinkarnationsverdacht erregte, wenn er nicht so wenig Lust zum Chuck-Berry-Riff-Aufpumpen, Schweißstampfen und Hysterieschüren hätte. Gleichwohl ist THE moonstation house band (Secretly Canadian/Cargo) ein ganz famoses, zerbrechlich-zwittriges, glam-atisch dekadentes, vielleicht (für aktuelle Breitenwirkung) ein wenig arg nischenverliebtes und reminiszentes Album, das Freunden von Bolans träumerischer Seite, aber auch von Cockney Rebel und Jobriath eine nostalgisch vergnügte halbe Stunde bereiten wird und genug Substanz hat, um in its own rightbei Gelegenheit wieder aus dem Regal zu rutschen. Eingespielt hat es der junge Mann übrigens fast ganz allein, lediglich Beck-Papa David Campbell sorgte für angemessen schwüle Orchestrierung.
Der entspannte Elektroniker Andreas Otto wohntin einem Häuschen im Lüneburger Wald und entlockt seinen Datenbanken einen sanft fließenden Strom von blinkenden Geräuschen und sachten Rhythmen, den mancher als belanglos empfinden wird, der aber im Falle etwa einer NoiserockÜberdosis Wunder wirken kann und den idealen Soundtrack zum Baumwachstum liefert, park and ride (City Center Offices/Hausmusik/Indigo) ist nach drei Jahren sein zweites Album; seinen Stil nennt er Naturalsyntaxdub/Melodicknarzwestern, aber ein Genre wird hieraus nicht werden, weil Ottos Erfindung „Fello 1.0“ (eine Musiksoftware, die von einem Cello gesteuert wird) ziemlich einmalig ist. Ebenfalls gerne daheim ist Rob Crow, der auf dem Cover von LiviNG WELL (Temporary Residence/Cargo) aussieht wie ein klassischer Schusswaf-fen&Cheeseburger-Ami und auch alles selber spielt, aber ganz ohne Tastatur und Chip. Klingen tut er allerdings gänzlich unmilitant wie jemand, der zu viel alleine ist, gerne mal eine gute Songidee hätte und meint, man müsse nur genug von den Dingern schreiben, dann werde schon irgendwann ein Guter dabei sein. Der Pinback-Frontmann wollte mit dem Album eine Frau erobern, angeblich erfolgreich. Den Rest der Welt geht das wenig an, und interessieren tut es uns auch nicht sonderlich. So ähnlich ist das bei Dustin Kensrue; leider hat der aber lauter Songs geschrieben, die es schon gibt, hundertfach in Ramschkis-ten. PLEA-SE COME HOME (Equal Vision) erinnert, wenn man nebenbei anderes zu tun und gute Laune hat, nicht unbedingt unangenehm an all die Möchtegern-Tom-Pettys, die zwischen Alabama, Idaho und Grevenbroich ihr Wesen treiben. Ist man kritischer gestimmt, möchte man schon mal dran erinnern, dass Plastik und Pappe knappe Güter sind, die wir von unseren Enkelkindern nur geborgt haben. Womit wir bei Steven Seagal wären, dem Schauspieler. Der spielte einst in einem Film, der in deutschen Kinos „ZumTöten freigegeben“ hieß, aber wir wollen mal nicht übertreiben. Sein zweites Album MO0 priest (Hypertension) könnte auch „Hoochie Coochie Man“ (der ist drauf, klar) oder „I Got The Blues, Baby“ heißen, um uns zu sagen, wie es klingt: kompetent gemacht, ideenfrei und abgeklatscht. Freilich, Schauspieler lernen das: nicht sie selbst zu sein, sondern jemand anderer. Aber wozu soll’s gut sein, wenn das Drehbuch so alt, schlapp und simpel ist? „Steven Seagal is agreatmuskian ..,“, tönt eine Fansite. Yeah, und Beton ist ein super Baumaterial.
Auch darin ähnelt die Musik den Zeiten: Jede kommt nur einmal. Und doch kehrt sie immer wieder zurück, oft entstellt, rudimentär, blasskopiert, manchmal auch nostalgisch vergoldet oder zyklisch ewig. Was noch nie da war, ist selten, was nie mehr da sein wird, noch rarer. Die vier japanischen Wahnsinnigen, die sich Ghost nennen und mit IN stormynights (Drag City/RoughT) schon ihr neuntes Album, ähem. vorlegen, gibt es sicher kein zweites Mal. Nicht auf den Naiv-Metafolk des Openers „Motherly Bluster“ reinfallen – das folgende „Hemicyclic Anthelion“ besteht aus knapp 28 Minuten Geräuschgewitter, das Amon Düül, Can, Pink Floyd (Barrett-Version), Warhead und wahrscheinlich das ganze Universum erblassen und Zeit und Raum inwärts laufen ließe, wenn man nur laut genug aufdrehen könnte, ohne in eine Singularität verwandelt zu werden. Das ist erst der Anfang. Und (mag das auch an den Umständen liegen) es ist gut!
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