Diverse – West Indian Rhythm

Der HipHop der 30er-Jahre: Zehn CDs mit dem „wahren“ Calypso, straight outta Trinidad.

In den Jahrhunderten seit seiner „Entdeckung“ durch Columbus 1498 war Trinidad – die südlichste der Westindischen Inseln in der Karibik, unter Kuba, Jamaika, Haiti etc., direkt über Venezuela – eine Art Wurstkessel der Weltkulturen. Kolonisten aus Europa – Spanier, Briten. Franzosen -. vor allem aber deren afrikanische Sklaven und ihre Nachkommen, später Einwanderer aus Asien und Indien etc.pp. formten eine blubbernde, bunte Gesellschaft, in der nicht zuletzt populärmusikalisch so manches ging. Auf Trinidad wurde der Soca erfunden, die wichtigste lokale Errungenschaft aber überschwängliche Karnevalsmusik und bedeutendes Kommunikationsmittel in einem – war und ist der Calypso. Schon 20 Jahre, bevor eine Lightversion von Calypso via Harry Belafonte in den 50ern zum Exotenpoptrend in den USA wurde, hatte-die New Yorker Plattenfirma Decca ein Auge auf die pulsierende Szene auf Trinidad geworfen und zunächst deren größte Stars zu Aufnahmesessions für den westindischen Markt nach New York geflogen. In den Jahren 1938 bis ’40 schickte Decca den Produzenten Ralph Perez nach Trinidad, der von seinen Reisen verbriefte 268 Aufnahmen mitbrachte. Schlappe 267 davon haben die Wahnsinnsknaben von Bear Family, bekannt für ihre monumentalen Re-Release-Projekte, zusammengetragen für diese Zehn-CD-Compilation, die letzte war bei allem archäologischen Gespür und Eifer nicht mehr aufzutreiben, west indian rhythm ist eine Sammlung aus der Großzeit des Calypso, die diejenigen, die Calypso bisher für handzahm-folkloristische Cocktailschlürfmusik gehalten haben, erstaunen dürfte – und 50 ziemlich jeden anderen auch. Wir hören: Smarte, selbstbewusste Typen aus der Unterschicht, die sich nach oben träumen und arbeiten, sich schnittig kleiden, sich flashige Namen geben wie The Lion, The Growler, The Caresser, The Executor und Attila The Hun und zu repetitiver Musik, die zuvörderst einmal Träger ihrer Message ist, loslegen, explizit, wortreich und witzig, über Alltagsprobleme, über soziale Missslände und Polizeigewalt, über Sex, ihre eigene Großartigkeit und oft und gern und meinungsstark über Politisches. Klingt nach Brooklyn in den 80ern? Ist Trinidad in den 30ern. Es ist verblüffend zu sehen und zu hören, welche Parallelen in der Rückschau Calypso – eine Keimzelle von Reggae – mit HipHop in seinen frühen Jahren hat, vor allem im besten Sinne einer Volksmusik, über die Nachrichten verbreitet, Geschichten erzählt, Kommentare abgegeben wurden [der Untertitel der Box lautet „Trinidad Calypsos On World And Local Events Featuring The Censored Recordings 1938-1940“, und so ziemlich alle kriegen hier ihre Disses ab, von der örtlichen Polizei bis hin zu Hitler und Mussolini], und derjenige Calypsonian war am angesehensten, der am besten improvisieren, also freestylen konnte. Das alles zu dieser großartigen und liebenswerten, facettenreichen, bläserdominierten Musik, aus der man in der Tat alles heraushört von afrikanischen Rhythmen über südamerikanisches Karneval-Flair und New-Orleans-Jazz bis zu keltischen Fiddeln. Zu all den komplexen kulturgeschichtlichen Zusammenhängen dürfte keine Frage offenbleiben im Rückgrat der Box, dem beiliegenden 320-seitigen Buch, das nur so überquillt vor Fachartikeln zur Historie Trinidads, Musikerbiografien und Erläuterungen und anekdotischen Hintergründen zu den (abgedruckten] Liedtexten, 1001 Fotos und Zeitungsausschnitten etc. Einakribischeswor/to/foKe mal wieder, diese Box, die aber nicht in historischem Archivcharakter erstarrt: Durchaus drin, damit mal eine wuckernde, puckernde Party zu feiern. Gleich mal ausprobieren. 5 JOSEF WINKLER >>>

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