Shtetl Superstars
Wo bleiben nationale Eigenheiten in einer sich rasend vernetzenden Welt? Wer sich krampfhaft in die Armlehne seines Cordsessels krallt, während vor seinem Reihenhausfenster der Gemüseladen seiner Kindheit einem Handyshop weicht, darf sich mit den shtetl Superstars entspannen. Die zweitausend-jährige Erfahrung der Diaspora, die die Juden über den Erdball verteilte, macht die musikalische Spannung dieser Zusammenstellung aus. In dieser Situation eine Identität zu behalten oder überhaupt erst zu entwickeln, ist dann doch schwieriger als für die Bewohner eines oberbayerischen Dorfes. Diese Compilation räumt das Klischee des in jeder Lebenslage, zu jeder Zeit Klezmer spielenden Juden beiseite, um hinter der Nostalgie freie Sicht auf die aktuelle jüdische Szene zu haben. Die ist dann mindestens so vielfältig wie die Zahl der Länder, in denen es jüdische Gemeinschaften gibt. Die Latino-Juden von den Hip Hop Hoodies rappen in „Havana Nagila“ über Latin-Rhythmen und Mariachi-Bläsern. King Django, der als einer der wenigen tatsächlich noch jiddisch singt, und seine Roots And Culture lassen über einem locker groovenden Ska-Track die Mandoline klingeln. Was klingt wie der unhörbare Ausstoß eines wahnsinnigen Musikbastlers, läuft tatsächlich so organisch wie Sprache. So wie das Jiddische sich je nach Region auf ganz unterschiedliche Art mit den Idiomen vermischte, geht auch die jüdische Musik organische Klangsynthesen ein. Wenn Boogie Balagan von der Rückkehr ins gelobte Land vor dem Hintergrund von Handclappin-Poser-Rock träumen und die Astroglides „Adventures Of Rabbi Jacob als zünftige Surfnummer spielen, sind das Einblicke in die verstecktesten Winkel am Rande des Pop-Bewusstseins. Eine Bindung an Religion hat mit dem Bekenntnis zur jüdischen Kultur übrigens nur bedingt zu tun. Der Amerikaner David Gould, der es über den Reggae schafft, seinen Glauben zu aktualisieren, ist da eine Ausnahme. Bleibt das Geheimnis um kulturelle Herkunft: Anscheinend, das ist die beruhigende Erkenntnis dieser Zusammenstellung, kann man seine Wurzeln jederzeit und überall mit durchs Leben nehmen und sie in jede Erde pflanzen.
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