Charlotte Gainsbourg :: 5. 55 Because/Warner

Wer seinem Debüt erst 20 Jahre später eine neue Platte folgen lässt, muss gute Gründe dafür haben. Charlotte Gainsbourg. Tochter von Serge Gainsbourg und Jane Birkin, hatte mehr als gute Gründe: Nach dem Tod ihres Papas 1991 mochte sie einfach nicht mehr singen; mit ihm war auch die Musik gegangen. Der 1986 von der damals 15-Jährigen gemeinsam mit dem alten Bonvivant eingespielte Soundtrack zu Charlotte for ever schien für immer ihr einziges Album zu bleiben. Hinzu kam, dass die fragile Schauspielerin sich stets ihrer Stimme schämte. Ein paar Gastvocals hier und da – kein Problem. Ein ganzes eigenes Album – nicht auszudenken. Und jetzt diese Rückkehr! Die Liste der Beteiligten liest sich, als hätte eine clevere Agentur für feuchte Europop-Träume genau die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt versammelt: Air komponierten die Musik, Jarvis Cocker und Neil Hannon lieferten die Texte, und Superproduzent Nigel Godrich sorgte dafür, dass auch ein Album draus wurde. Trotzdem ist 5.55 kein stilvoll angetrashtes Best-Of lüsterner Neo-Dandy-Projektionen -die Platte folgt tatsächlich der Vision der Interpretin. Es ist das Album eines eigensinnigen ewigen Mädchens, das uns von der Nacht erzählt – mit all ihrer Schönheit und ihrem Schrecken. Es geht ums Wachliegen lim Titelsong „5-55“), um dämmerige Flugreisen („AF 607105“), auch um Geistererscheinungen (‚Morning Ghost‘). Doch ist die Nacht hier häufig auch ein Bild für einen Raum, der maximale Intimität und höchstmögliche Verletzbarkeit zulässt. Immerwieder handeln diese luftkissenleichten Stücke somit letztlich von Nähe, manchmal, so scheint es, von zu viel Nähe. Es ist ein einziges Säuseln und Flüstern; allerdings muss jeder Sleaze draußen bleiben – auf 5.55 geht es nicht um Sex. Zumindest nicht vorrangig. Dass Cocker und Hannon als Texter am Werk waren, hört man nicht unbedingt (außer im Jimmy-Webb-artigen „The Songs That We Sing“, der auch von The DivineComedy stammen könnte! Die Anwesenheit von Air kann das Album jedoch in keiner Sekunde verleugnen; Duncket und Godin fahren noch einmal das gesamte Soundarsenal ihrer moon Safari -Phase auf, das sie sich auf eigenen Alben in dieser Wiedererkennbarkeit so nicht mehr durchgehen lassen würden. Hier können sie ihre Watte-Sounds allerdings in einen vollkommen neuen Kontext überführen – in den der charmanten Flüstertüte Charlotte Gainsbourg. Ein Album für das drohende herbstliche Windgewirbel vorm Schlafzimmerfenster. VÖ:25.8. www.charlottegainsbourg.net