Hot Chip

The Warning

Jetzt müßiggehen, mitsingen. Und das Evangelium nach Taylor und Goddard hören: Lazy is the new Rock. Oder Pop. Oder Disco.

Sie werden das alles schon gehört und gelesen haben: Daß Hot Chip ein bißchen zu clever sind, daß ihre Musik ein Mahnmal der Arroganz darstellt, daß sie die Pop-Geschichte an den dazu einladenden Stellen beklauen und dabei Handschuhe tragen, um sich bloß nicht die Finger schmutzig zu machen. Und daß wir sie deshalb lieben. Auf dieser Platte passiert das spätestens mit dem dritten Song „Colours“, der erste der unverschämten Hot-Chip-Hits auf THE WARNING; und es sollen noch viele weitere folgen. Erst stolpern sie fast über ihre eigenen Beine, machen den Song sodann ausgehfein und treten an mit Vorsänger und Chor, mit traumhaften Harmoniesprüngen und mit den rundesten Beats, die eine Maschine bis jetzt in diesem Jahr ausgespuckt hat. Jetzt weiß man, wie ein Folksong auf alten Synthesizern und Drum Machines geht. Das funktioniert aber alles nur mit dieser patentierten lazyness, die die beiden Sänger Alexis Taylor und Joe Goddard besitzen, die man getrost zum Programmpunkt für gute Unterhaltung des laufenden Jahres machen machen darf: Lazy is the new Rock. Oder Pop. Oder Disco. Electroclash klingt dagegen wie Thomas Gottschalk auf dem Rock’n’Roll-Altenteil. Die Kraft dieser Hot-Chip-Tracks liegt im Müßiggang („Look After Me“, „The Warning“), im Verharren und Vertrudeln, das sonst ja nur Kinder bis zur letzten Konsequenz betreiben. „Laid back, laid back / Well give you laid back „singt Alexis Taylor in einem von zwei Songs, die dieses Prädikat vielleicht nicht ganz verdienen, der Single „Over And Over“. Der andere heißt „Arrest Yourself“, ein Electro-Funk-Hybride mit Free-Jazz-Einlaß noch weit vor der Mitte. Zu gleichen Teilen kann man bei Hot Chip die Keyboardmeterware der Pet Shop Boys, den sanft mutierten Seventies-R’n’B von Phoenix und den schallgedämpften Pop der Kings Of Convenience vorfinden. Wie die Stevie-Wonder-Witze, die Prince– und Ween-Zitate auf dem etwas unfertigen Debütalbum Coming On Strong vor zwei Jahren, mit dem sich Hot Chip als Klassenclowns unter den jungen, talentierten Bedheads empfahlen. Ein bißchen Bloke sein und Blödsinn machen! Alle mitsingen jetzt: „I’m in no fit state, I’m in…“ Hot Chip spielen heute den perfekt gebauten Soundtrack zur wirbelsäulenfreundlichen Disco, den jeder immer schon auf CD brauchte (Männer jenseits der 40 sowieso). Das ist das ein Pfund, mit dem diese London-Boys wuchern können. Das andere ist viel stärker: Sie sind dabei ziemlich unberechenbar. Ein größeres Kompliment für aktuelle Popmusik kann ich gerade nicht raushauen.

www.hotchip.co.uk