Die Goldenen Zitronen
Lenin
Art Punk und wieder und wieder neu definiertes Musiktheater und deshalb einer mit Relevanz: Fünf Jahre später sind die Goldies immer noch sexy und schwierig und eine Institution ja sowieso.
Die als offenes Kollektiv geführte linksradikale Kapelle um Schorsch Kamerun und Ted Gaier hat sich durch ihre musikalische Entwicklung, die weniger in die falsche, trendabgewandte als eher in zu viele Richtungen gleichzeitig geführt hat, das Leben nie leicht gemacht. Die immer weitere inhaltliche Ausdifferenzierung (nicht Verwässerung, oh, nein!) der auch in anderen Projekten und Kunst- und Unterhaltungsformen höchst aktiven Agitpropper wurde für viele zudem immer schwieriger nachvollziehbar. Und jetzt, wo es doch auch soviel angenehmen Befindlichkeitsscheifi im Rock aus D gibt, kann man schließlich auch so treu und im Zweifel lieber ein wenig doof, „independent“ sein. Die Zitronen hingegen machen dort weiter, wo sie müssen. Mit einem großartigen, lebendigen Album, das musikalisch zeigt, daß sie a) immer noch in der Lage sind, radikale Art-Punk und No-Wave-Hits auszuspucken und b) ihre Arbeit in Theaterproduktionen auch immer mehr Spuren bei der Band hinterlaßt, in abstrakteren, aber auch überraschend aufgeräumten Stücken. Das bildet Pole. Und ja nicht nur die beiden. Andererseits, und das ist seltsam: Lenin hinterläßt dennoch einen Gesamteindruck, fasert kaum aus, wirkt als Album. Obwohl auch inhaltlich und im Variantenreichtum der gesanglichen Darstellungsformen des längst in seiner ureigenen Form von Musiktheater (aua!) inkl. fliegenden Rollenspielen brillierenden Kamerun in 45 Minuten mal eben die halbe Welt umrissen wird. Kaputt, schreiend ungerecht, pervers ist sie. Um so bemerkenswerter ist es, daß die Goldies immer noch so viel Lust und Wut und Laune haben und zeigen und machen können, auch sexy sind, gar rocken und rollen. Auf der Single „Wenn ich ein Turnschuh war“ zum Beispiel, die das Kunststück vollbringt, cool und schließlich beinahe ein wenig albern auf den Punkt zu bringen, daß da vielleicht was nicht paßt, wenn Waren weltweit barrierefrei „reisen“ können. Menschen aber nicht. (Und dabei wie mit links DAF noch den Swing beibringen: ein Hammer.) In „Von den Dämonen des Wesley Willis“, in denen sie eben deren Rolle einnehmen im früh beendeten Leben des an paranoider Schizophrenie leidenden Musikers, mit dem sie auf Tour gewesen waren. In „Mila“, in dem sich Komik und Verzweiflung im wirren Monolog gegenseitig gefangen nehmen. Im „Lied der Stimmungshochhalter“, das sich so hetzen muß wie die Angehörigen der untersten Dienstleistungskaste, die hier besungen wird. Natürlich ist das alles nicht „schön“. Aber das hier ist ja auch keine Unterhaltungsmusik.
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