We Are Scientists – With Love And Squalor :: Someone stop me!

Stünden hier nicht etwa die Tonträger, sondern die Internetpräsenzen aktuell relevanter Popgruppen zur Beurteilung, der Jahressieg 2006 wäre schon jetzt fest in der Hand von We Are Sciencists. Werauf seiner Website seine musikalische Tätigkeit als „Advanced High Level Sectional Articulation“ beschreibt. Fahrstühle und Büroklammern rezensiert und Leserfragen zu Haustieren, Sex und Busfahrzeiten beantwortet, der kann kein schlechter Mensch sein. Tatsächlich wissen diese drei Geeks aus New York nicht nur auf dem Gebiet pythonesken Humors genau, was sie tun, deshalb stehen sie jetzt charmant amüsiert mit einer Platte da. die die Coolness mit Löffeln gefressen hat und mit der Zunge schnalzend die scheinbar längst saturierte Hörerschaft ausdribbelt.

Eine Platte, die sich ihren Titel sophisticated bei J.D. Salinger leiht, zwölf Songs, die ihren hohen Blutdruck mit kontrollierter Hektik in den Griff bekommen, with love AND SQUALOR ist ein unverschämtes Discotier, drahtig und sexy, mit lässig hampelnden Drums und genüßlich schmatzender Gitarre, die immer wieder eigensinnig auseinanderspazieren (das meint Advanced High Level Sectional Articulation, schon klar, oder?) und doch stets magnetisch um die Songs kreisen. Frontmann Keith Murray (one for the girls) besingt den Hedonismus und den auf ihn folgenden Kater („I’m sick of waking up on your floor / For the sixth or seventh night in a row / I’m lying next to you in all of my clothes / Someone stop me“), zerreißt sich einmal das Maul wie Dämon Albarn („This Scene Is Dead“), klingt ein andermal fast wie Morrissey („Lousy Reputation“), während Bassist Chris Cain (Übernerd mit Schnurrbart und Brille) und Schlagzeuger Michael Tapper (kürzlich von This Is Fake DIY zum „Beard Of The Year 2005“ gewählt) clever und treffsicher immer und wirklich immer genau da zustechen, wo die Aufregungam heftigsten pulsiert. Wenn man auch nur einen Moment ans Verschnaufen denkt, kommen sie mit dem nächsten Wahnsinnshook um die Ecke gesprungen und sausen los wie in dem Videoclip, in dem sie (warum auch immer) von einem Bären verfolgt werden. Der Neo-Wavepop von We Are Scientists hat, da verlassen die gut informierten Garagen wissenschaftler die mittlerweile komfortabel ausgetrampelten Pfade dieses von schlauen Menschen schlau benannten Genres, auch keine Berührungsängste zu Aspekten des klassischen Indierock (ca. Weezer), bei Bedarf werden gar nonchalant ein paar Ahs und Ohs aus dem Queen-Regal stibitzt, nur um gleich darauf ganz unironisch ernsthaft zu verkünden: „I’m breaking my own rules / becoming someone else / while everybody says / I ought to get over myself.“ „Inaction“, „Cash Cow“ und die Single „Nobody Move, Nobody Get Hurt“ sind unbekümmert zappelige In-your-face-Kracher. „Can’t Lose“, „Textbook“ und „What’s The Word“ Klagen über Selbstzweifel und Depression, die jedes Mal lieber wütend aufstampfen, als lange rumzujammern. With Love And Squalor ist The Bravery mit Hirn statt Schminke, Bloc Party mit Humor oder das Album, das Hot Hot Heat nach Make Up The Breakdown hätten machen sollen. Es klingt nach Liebe (love) und Verwahrlosung (squalor), ist betrunken und verkatert, übermütig und sorgfältig, scharfzüngig und liebenswürdig.

Wenn man We Are Scientists etwas vorwerfen kann, dann höchstens ihre Tadellosigkeit, die schlaue, aufgeräumte Präzision, die Böswillige als kühle Kalkulation mißverstehen könnten. Aber die sollen dann eben beim Internet bleiben und nachlesen, wie die Scientists Fragen wie diese beantworten: „How am I achieve the level of cool confidence that I have within my head mithin the context of actual reality?“

www.wearescientists.com