Scherben :: Wir sind 80 Millionen
„Eigentlich“, meinte Ton-Steine-Scherben-Bassist Kai Sichtermann unlängst, „wollten wir immer nur eine normale Rockbund sein.“ Recht hat hierzu Ted Gaier in seinem Buchbeitrag: „Wasfür ein Quatsch.“ Ton Steine Scherben waren andererseits, wenn man das Rockbandsein so definiert, wie es manche Leute um 1970 herum definierten, eine ganz normale Rockband – dann allerdings die einzige in Deutschland. Leider haben sich Leben, Denken, Bewußtsein, wahrscheinlich sogar das genetische Grundmaterial des heutigen Menschen so weit von „damals“ entfernt, daß nicht mehr ganz leicht nachzuvollziehen und zu erklären ist, worum es ging. Dazu braucht es ein heroisches Buch wie dieses, das über die (einleitend vom Herausgeber skizzierte) Geschichte einer Musikgruppe, ihrer Zeit und ihres sozialen Umfelds weit hinausreicht: bis auf Felder wie „Kritik der Konsumkritik“, die Scherben-Rezeption in der DDR und die merkwürdigen Vermengungstendenzen der letzten Jahre, in denen eine habituelle, ästhetische und teilweise auch politisch-bewußte Rechtsradikalisierung der deutschen Popmusik einhergeht mit Versuchen, ausgerechnet die linksradikalen Scherben für sich zu beanspruchen und in „heroische“, sozialfaschistische bis „völkische“ und „nationalreuolutionäre“ Kontexte einzubauen (Ralf Fischers Beitrag hierzu stünde in einer guten Welt auf jedem Schullehrplan!). Das Gelingen eines solchen Buchs hängt an jeder einzelnen Reflexion, jedem einzelnen Gedankengang, und gerade weil manches von dem hier Gedachten diskussionswürdig bleibt, ist das Buch außerordentlich gelungen. Dazu gehört, daß einem die Fehlschläge und der letztendliche Mißerfolg des Experiments ebensowenig erspart bleiben wie der tiefironische Anblick der Gesichter von Claudia Roth und Julian Nida-Rümelin. Die tragen immerhin möglicherweise dazu bei, die „Haßschübe“ und „Melancholieuwalle“, die Ted Gaier angesichts der allgemein betriebenen „Entkontextualisierung“ der Scherben empfindet, so anzuheizen, daß vielleicht doch mal wieder jemand „was macht“, zumindest sich ein paar Gedanken. (Und wer die ersten beiden Scherben-Platten nicht kennt, sollte das sowieso schleunigst ändern.) www.tonsteinescherben.de
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