ABBA – The Complete Studio Recordings :: Thank You For The Music

Hautenge Satinhosen, Pailletten-besetzte Sakkos, Plateauschuhe und Föhnfrisuren in den Modefarben Nordischblond und Tizianrot – es vergeht kein Tag ohne eine ABBA-Party, ABBA-Persiflage oder eine Aufführung des derzeit weltweit erfolgreichsten Musicals „Mamma Mia“. Das Quartett aus Schweden hat die Popgeschichte der letzten drei Dekaden maßgeblich mitgeschrieben. ABBA entschlüsselten nicht nur das popkünstlerische Erbgut der 70er Jahre, sondern auch das heutige und höchstwahrscheinlich auch noch das kommender Jahrzehnte. In der Ära ihres globalen Siegeszugs galten die „biederen Saubermänner“ bei jedem ernstzunehmenden Kritiker und Konsumenten als Kommerzhansel. In einer Zeit, in der das Konzeptalbum Maß aller Dinge war, wollte man sich nicht eingestehen, daß Agnetha Fältskog, Björn Ulvaeus, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad mit rund zwei Dutzend makellos arrangierten Singles die Popmusik neu definierten. In den Pop-Olymp rückten ABBA indes erst lange nach ihrem Dahinscheiden posthum erkannte man ihnen den Status der Überikonen zu. Auch 23 Jahre nach der Trennung verkaufen sich ABBA-Platten wie geschnitten Brot – definitiv einer der Gründe, warum das Box-Set The Complete Studio Recordings in megalomanischer Aufmachung daherkommt: acht reguläre Studioalben in Miniatur-Cover-Repliken der Vinyle, ergänzt um zahllose Bonustracks, eine Raritäten-CD mit B-Seiten, Outtakes und Remixen sowie zwei DVDs mit sämtlichen Video-Clips, einer Doku und dem finalen ’81er Konzert.

Wie der Urknall bricht das ABBA-Phänomen nach dem Grand-Prix-Sieg 1974 im englischen Brighton mit dem Glam-Popper „Waterloo“ über die Welt herein. Was mit dem 1973 veröffentlichten Ring Ring unauffällig bis banal beginnt, wird spätestens nach dem Flächenbrand, den „SOS“ zwei Jahre später entfacht, zur Gewißheit: Der bis dato nur auf Europa beschränkten und nur auf ein Teenpublikum konzentrierten Popoffensive von T. Rex, Sweet und Slade wird durch die breite Akzeptanz, die ABBA als Glam-Pop-Epigonen genießen, eine sanfte Weltrevolurion folgen. Schlagartig wird Schweden als Popland etabliert und der Marktführer Rock durch Pop abgelöst.

Sein Rezept findet das Quartett auf den beiden Alben Waterloo (3) und ABBA (4). Wie die British Beat Invasion ein Jahrzehnt zuvor verkaufen die cleveren Schweden alten Wein in neuen Schläuchen – eine durch aktuelle Produktionsfinessen verfeinerte Rezeptur jener Essenz, um die sich einst englische und amerikanische Bands verdient machten. Dabei bedienen sich ABBA eines leichtverständlichen Kulturesperantos: „King Kong Song“, „Hasta Manana“, „Honey Honey“, „Mamma Mia“, „Bang-A-Boomerang“, „So Long“ und „I Do, I Do, I Do, I Do, I Do“ kommen im plakativen Einfachstenglisch, adaptieren schmachtenden US-Schmalz, luftig-nordisches Rhvthmusgefühl und britischen Popappeal. Auf originelle Weise zitieren Ulvaeus und Andersson die Stile und Helden ihrer Jugend: Doo-Wop, Motown, Connie Francis und Phil Spectot, imitieren The Mamas And The Papas und laufen schließlich jener Band den Rang ab, die als das Nonplusultra gilt: The Beatles.

Auf dem Höhepunkt der ABBA-Mania 1976 bis 1980 entstehen vier eklektische Werke: Arrival (5), The Album (5), Voulez-Vouz (5) und Supertrouper (5) interpretieren den Zeitgeist auf traumwandlerische Art und lassen das mit Ohrwürmern überfrachtete Tracklisting wie das von Best-Of-Kopplungen erscheinen. Das Konzept von Björn und Benny erreicht seinen Höhepunkt mit den mehrstimmigen Gesangstürmen von Agnetha und Frida. Während sich jede Textsilbe einer majestätisch funkelnden Note zuordnet, filtert das Quartett die pophistorische Vergangenheit durch einen Zeittunnel in eine durch Disco und Synthesizer dominierte Gegenwart-ein Hit folgt auf den anderen: „Fernando“, „Dancing Queen“, „Money, Money, Money“, „Knowing Me, Knowing You“, „The Name Of The Game“. „Take A Chance OnMe“, „Chiquitita“, „Voulez-Vous“, „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“, „The WinnerTakes It All“. „Super Trouper“. Anfang der 80er Jahre legen ABBA unter steigendem Erfolgsdruck, privaten Beziehungsproblemen und dem durch Punk und New Wave sich verändernden Musikgeschmack erstaunlicherweise an künstlerischer Substanz zu. Das mysteriöse The Visitors (4,5) läßt mit gereiften Ohrwürmern wie „One Of Us“, „Head Over Heels“ und „Under Attack“ das Schrillbunte der Frühzeit hinter sich, setzt auf introspektive Balladen und Brüchig-Schmerzvolles. Aus den gleichen Sessions stammt „The Day Before You Came“ – der vielleicht schönste Song einer glanzvollen Karriere.

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