Sonny Rollins – Without A Song
Angeblich soll Sonny Rollins von seinem New Yorker Appartement aus live miterlebt haben, wie der amerikanische Traum in Form des World Trade Centers in Schutt und Asche gelegl wurde. Während aber nach dem 11. September 2001 die kollektive Trauerarbeit selbst über den großen Teich schwappte, bewies der 71jährige Rollins Haltung und spielte vier Tage später in Boston, so als ob nichts geschehen wäre. Und obwohl Rollins inzwischen von der Haar- bis zur Bartspitze vollkommen ergraut ist, gehört jedes Live-Dokument von ihm immer noch zu den Jazz-Highlights. Zumal der letzte Konzert-Mitschnitt dieses modernen Saxophon-Papstes bereits 15 Jahre zurückliegt. Wer nun allein Sonny Rollins‘ unter die Haut gehendes Spiel in „A Night ingale Sang in Berkeley Square“ erlebt, der begreift auf Anhieb, daß sich alle ambitionierten Jung-Saxophonisten noch so sehr an der Jazz-Tradition abarbeiten können – sie werden nie Rollins‘ Erfahrungsschatz erreichen, seine Reichweite im Ausdruck und in der Improvisation erlangen. Das schlummernde Blues-Feeling wird bei Sonny Rollins nie anbiedernd aufgeschreckt, sondern bleibt stets sorgsam im Hintergrund, wenn der Meister vital und erregend eine Ballade fürs Leben spielt statt zu zelebrieren. Und selbst der Calypso-infizierte Rollins-Track „Global Warming“ ist nicht eine dieser x-beliebigen Jazz-Worldmusic-Prozessionen, sondern besitzt ein Raffinement, im Leichten, eine Unbefangenheit im Intelligenten, die nicht zu kopieren ist. Erstaunlich ist bei den sechs Tracks deshalb weniger Sonny Rollins‘ verblüffend jugendliche Altmeisterschaft, mit der er die Balance zwischen Melodie und ihren harmonischen Reizungen hält. Für den eigentlichen Coup sorgen seine fünf Mitstreiter (unter anderem der Bassist Bob Cranshaw und der Pianist Stephen Scott), die sich von ihrem Chef zu Höchstleistungen angetrieben fühlten. Und das auf absoluter Augenund Ohrenhöhe mit Sonny Rollins.
www.sonnyrollins.com
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