Kurz & Klein

Sex verkauft. Auch Musik. Doch weil das Entfachen von eindimensionalen Kopulationsphantasien in erster Linie bei männlichen Käufern zur Absatzsteigerung taugt, muß der Sex zur Musik über Bilder vermittelt werden. Weil der Mann Augenmensch ist. Doch leider hat das sog. Musikfernsehen die Ausstrahlung von Musikvideos eingedämmt. Als Singbunny ist es da gar nicht mehr so einfach, der Zielgruppe oft genug Tits & Ass ins Gesicht zu halten. Wohl deshalb schickt L.A. nun gleich ein ganzes Hardbody-Sextett (sie!) los: The Pussycat Dolls gehören zu jenen überzüchteten Show-Körperarbeiterinnen, die noch nach sechs Salti in Serie die Zähne zum ins Gesicht gefrästen Zeichentrick-Eskimolächeln zusammenbeißen, obwohl die Lunge schreit: Atmen! Daß diese Mädels nun auch noch trällern, trägt wenig Neues zur Sache bei. PCD (Universal) ist Musik in Abwesenheit von Musik. Sex in Abwesenheit von Sex. In letzter Konsequenz zynischer „Du kannst es schaffen“-Pop, der lügt lügt lügt. Und auch Nicole, Carmit, Kimberly, Ashley, Melody und lessica lügt er an. Ihre Väter sollten kommen und sie rausholen! Julia Volkova und Lena Katina gehören hingegen vielleicht einfach mal übers Knie gelegt, um ihnen ihre als Görentum mißverstandene Abstinenz von Manieren auszutreiben. Andererseits haben dasbereits so viele Freizeit-Päderascen in ihrer Phantasie getan (war ja nur das knappe Schuluniformröckchen im Weg…). Überhaupt: Schläge haben bisher noch jedem geschadet! Und wenn lesbische Liebe auch endlich über die Notizzettel-Scripts von Softporno-Filmern hinaus eine erwähnenswerte gesellschaftliche Akzeptanz erreicht hätte, könnte man mit t.A.T.u. endlich machen, was von Anfangan zu tun gewesen wäre: totschweigen. (Die hier bis dato totgeschwiegene Platte heißt übrigens Dangerous And Moving [Universal], und das sind auch schon wieder zwei Lügen.) Die andere Seite: Herren, die sich wegen Textildefizits fröstelnde Damen an die Seite holen, um mehr Aufmerksamkeit zu erreichen. Shaggy nennt sein neues Album gleich Clothes Drop (Geffen/Universal), und natürlich ist das Dancehall-Pop-Quatsch, in dem es vor allem um die geradezu geschichtsträchtigen Qualitäten Shaggvs als Lovermangeht. Manchmal wird hier so angstlos gegenüber jedem Selbstzitat und negativ-subversiv herumgebolzt, daß man für ein paar Momente sogar Spaß daran haben kann. Na, hier sind wohl gerade ein paar gute Stichworte gefallen, um die Bloodhound Gang (zurück) ins Spiel zu bringen. Die nehmen den Mund wieder ganz schön voll (Sauerkraut! Böse Worte! „Pussy“ ohne Plop-Schutzam Mikro!), wechseln sich zwischen Alternative Doofpop und grimmiger Maschinenmusik ab, und sind vor allem wieder ganz sehr lustig. So Wenn-ich-schon-auf-dieser-Vorvorort-Highschool-Partyherumhängen-muß-kann-ich-mich-wenigstens-bis-Oberkante-Unterlippe-zusaufen-und-dann-in-den-Pool-kotzen lustig. Für Alben wie Hefty Nine (Geffen/Universal) sollten Aufkleber vorgeschrieben werden, auf denen Abgabehöchstalter-Empfehlungen stehen. „14“ geht aber auch nicht, wegen: „Pussy“!

Auf der anderen Seite: Wenn man sowas wie Schrei (Universal), das seelenfreie Debüt der Schülerrocker Tokio Hotel, hören muß, wünscht man sich glatt, daß diese Jungs sich auch lieber noch ein wenig vomitierend an Poolränder hängen. Stattdessen wird Sänger Bill (15) so im/ins Presseinfo zitiert: „Klar wurde ich schon gefragt: ‚Wie kann ein 15jähriger von ,Lebe die Sekunde‘ singen, wenn er doch nichts erlebt hat?‘ Dann sage ich: Klar hab ich was erlebt, und ich, die Jugend von heute nimmt die Welt um sie herum sehr wohl wahr. Als kann ich dies auch ausdrücken und Texte singen, die für manchen vielleicht überraschend erwachsen klingen.“

Nochmal zurück zum Sex bzw. deren Industrie. Andy Bell, jener, der bei Erasure die Radlerhosen an hat und eben nicht Vince Clarke ist, hat für die Coverästhetik seines Soloalbums Electric Blue (Sanctuary/Rough Trade) eben die Videohüllen jener Filmchen-Serie aus den 80er Jahren beliehen. Als Hintergrundmusik für das dort Gezeigte taugt Beils Elektropop mit Sounds und Songs auf der Höhe einer Kylie-Minoque-Platte von etwa 1990 leider nicht: zu flott, zu rhythmisch, zuviel Gesang. Und auch nicht schlüpfrig genug, eher so schlüpferig.

Obwohl Sheryl Crow zuletzt als Partnerin des on top medikamentierten Meistercyclisten Lance Armstrong weitaus mehr Aufmerksamkeit bekommen hat als als längst ins Peloton des Mainstream zurückgefallene Musikantin, gäbe es in dieser Rubrik einiges zu tun für die Dame: Den Pussycat Dolls möge sie als Freundin zur Seite stehen, die gute Anwälte kennt und weniger billige Boutiquen. Julia und Katina könnten eine Ersatzmutter brauchen, die Strenge und Streicheleinheiten abzuwägen weiß. Shaggy will nur eine Telefon-Vertraute, die mit ihm über Beziehungsknatsch und Erektions-Probleme redet. Für die Bloodhound Gang ab und an einen Teller Suppe und diesen jungen Magdeburger Schreihälsen eine Tante in Amerika, die Pakete mit Kommerzquatsch schickt, der zu helfen verspricht, die Pubertät zu überstehen (natürlich tut er das nicht, aber manchmal tut es ja schon gut, wenn etwas nur so tut…). Bell hingegen braucht Crow nicht, er hat ja Clarke. (Crows neue, etwas überproduzierte, sattsam nette und züchtig sehnsuchtsvolle Popplatte namens Wildflower [Universal] wird ihre Rolle als Musikerin indes nicht neu definieren. Naja.