Kurz & Klein

Mir träumte neulich, daß der Plattenmeister in ganz grimmiger Laune war. „Wenn es überall so wäre wie in Bayern, hätten wir überhaupt keine Probleme‘. „, wetterte er auf einem Podium, das er vor seinem Büro im Gang aufgestellt hatte. „Nur, wir haben leider nicht überall so gute Musik wie in Bayern!“, rief er so aufgebracht, daß sich seine Stimme überschlug. Mit einer theatralischen Geste warf er eine Promo-CD von Toni Kater in eine bereits halbvolle Platten-Kiste, stieg vom Podium herab und marschierte wortlos davon. Gute Musik? In Bayern? Ich war ratlos. Was hatte den Plattenmeister nur so wütend gemacht? War es wirklich Futter (Sony BMG), das zweite Album der 28jährigen Berlinerin? Möglich wärs – ist es doch in jeder Hinsicht eine Katastrophe. „Manchmal weißt du nich’/wo ’s langgeht -für dich/Es regnet tagelang und kein Schirm in Sicht“, reimt die junge Frau in „Immer weiter“ und läßt wenig später „ihre Band los, die gerne mal heimlich Metal spielt“ (Presseinfo). Das Ergebnis, „Toni Katers erste Rocknummer“, ist genau so ein herz- und seelenloser, überproduzierter Schwachsinn wie der Rest. Verglichen mit Toni Kater ist Annett Louisan Clara Schumann. (Und nein, es macht mir keinen Spaß, so auszuteilen. Es tut mir sogar leid. Aber Futter geht gar nicht. Was sicher nicht nur die Schuld von Toni Kater ist.) Seichten Pop macht auch Katie Melua. Auf ihrem neuen Album Piece By Piece (Dramatico/Rough Trade) singt die Georgierin Balladen, die in ihrer Flauschigkeit so makellos sind, daß sie mit Sicherheit im Easy-Listening-Nachtprogramm von Klassik-Radio zum Einsatz kommen werden. Fans von Norah Jones werden begeistert sein und nicht merken, daß Track 10 eine gelungene Coverversion von „Just Like Heaven“ (The Cure) ist.

Von Georgien geht es nach Finnland, das 6500 vor Christus von Jägern und Sammlern besiedelt wurde, weshalb sich vermutlich Lauri von The Rasmus noch heute Krähenfedern in die Haare flicht. Da man Tiere wie den „Vielfraß“ (eine in Finnland beheimatete Marderart) bevorzugt nachts jagt, heißt The Rasmus‘ neustes Werk hide fromthesun (Universal). Es ist kitschig, hymnisch und schlecht.

Da auch Ville Valo von HIM, der finnische „King of Love -Metal“, das Sonnenlicht scheut, hat er das neueste Album seiner Band Dark Light (Warner) genannt. Es ist, bei allem Respekt, kitschig, hymnisch und schlecht.

Noch dicker als im finnischen „Love-Metal“ wird lediglich im Country aufgetragen. So klischeehaft und reaktionär sind die meisten aktuellen „Hit“-Produktionen aus Nashville, daß heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, was für fantastische Songschreiber das Genre immer hatte und bis heute hat. Caitlin Cary & Thad Cockrell sind Meister ihres Fachs und haben mit begoni as (Yep Records/ Cargo) ihr erstes gemeinsames Album aufgenommen. Cary, einst Violinistin von Ryan Adams‘ Band Whiskeytown, und Cockrell, der sich zur Aufgabe gemacht hat, „toput the hurt hack in Country“, schreiben schlichte, ehrliche und anrührende Songs im klassischen Stil, wie ihn Kris Kristofferson und Willie Nelson mitgeprägt haben. Gesanglich harmonieren die beiden so blendend, daß der Verfasser dieser Zeilen dem Duo hiermit einen 10-Alben-Vertraganbietet. Die genauen Konditionen gibt es auf Anfrage.

Das Kleingedruckte? Wer wird sich davon aus der Ruhe bringen lassen? Sicher nicht das 17jährige Goldkehlchen Rihanna – es war schließlich Jay-Z höchstpersönlich, der ihr in seiner Funktion als neuer Def-Jam-Chef einen Plattenvertrag unter die Nase gehalten hat. Ihr Debüt heißt Music Of The Sun (Def Jam/Universal) und enthält überraschend tolle Dancehall- und Reggae-Pop-Nummern („Pon De Replay“, „If It’s Lovin‘ That You Want“) und – kein bißchen überraschend-auch zahlreiche käsige R’n’B-Balladen („The Last Time“, „Now I Know“).

Das Album Gold & Green (Thrill Jockey/Rough Trade) ist so fantastisch, futuristisch und übergeschnappt, daß es mitsamt den Menschen, die es gebaren, in ein Museum für moderne Kunst des 21. Jahrhunderts gestellt werden sollte. Die Besucher könnten sich dann an dem lustigen Bandnamen (00100), dem aufwendigen Cover-Artwork, dem zehnseitigen Booklet, an der exzentrischen Sängerin Yoshimi (dieaufThe Fläming Lips‘ yoshimi battles the pink robots gastierte) und natürlich an den unfaßbaren Jazz-, Psych-Rock-, Avantgarde- und Spacepop-Eskapaden erfreuen. Höchst kreativ, höchst erfreulich und dabei auch ziemlich anstrengend.

Kein bißchen anstrengend, aber fast so einfallsreich ist My Rocky Mountain (Pulver/Soulfood), das Debüt des ungarischen Multiinstrumentalisten Erik Sumo. Sein Album ist ein eigenwilliges und geheimnisvolles Werk, das Musik enthält, die gänzlich anders klingt als die andere Musik, die diesen Monat im ME besprochen wird.

Anders als die andere Musik klingt auch Heart To Belive (SonyBMG), das Majordebüt von Itchy Poopzkid. „Dreckige“ Gitarren und schlimmer, wackeliger Gesang in fragwürdigem Englisch. Ihre Website ist www. scheisscombo.de. Sie kommen aus dem Stuttgarter Raum. „Wenn es überall so wäre wie in Bayern „, hör ich da den Plattenmeister wieder sagen, doch ich winke ab. „Die Stärkeren“, gebe ich zu bedenken, „müssen manchmal die Schwächeren ein Stück mitziehen. Das ist nun halt mal so.“