Eroc – Eroc Zwei

Wenn man zur richtigen Zeit das richtige Alter hat, kommt es auf den Ort nicht so sehr an, und selbst was man macht, ist nicht so wichtig. Zum Beispiet der unverwüstliche Krautrock, der in Wirklichkeit ja kein solcher war, sondern eine Wundertüte unterschiedlichster Ideen und Umsetzungen und manchmal auch des Wahnsinns und der frappierenden Ideenlosigkeit. Für vieles, was damals so gemacht und getan wurde, wäre man fünf Jahre später [oder früher] geteert und gefedert auf einer Eisenbahnschiene in den Sonnenuntergang getragen worden – daß dies nicht passierte, macht die erhaltenen Aufnahmen zumindest als Zeit(geistl)dokumente hochinteressant. Etwa die des legendären Brain-Labels, von denen nun ein zweiter Schwung auf dem Tisch liegt, der zeigt, daß auch hier der künstlerischen Freiheit alle Türen offenstanden – auch die zum Klo. Das Debüt der Dortmunder Epitaph, 1971 erschienen, ist vielleicht noch am ehesten „typisch“: einfühlsamer, streckenweise luftig getragener, dann wieder bulldogmäßig schlegelnder Hardrock von manchmal epischer Breite, die aber immer wieder von fein verschnörkelten Strukturen und Breaks aufgefangen wird. Spätgeborene wir haben das ausprobiert – reagieren mit Unverständnis und Kopfschütteln („Das ist keine Musik“, behauptet Nachbar Götz), aber daß in der (doch!) Musik auf Epitaph (3,5) Liebe. Mühe und Phantasie stecken, ist unüberhörbar. Und „London Town Girl“ klingt wie ein frühes Demo zu Queens „Fat Bottomed Girls“, was erstaunliche Querverbindungen erahnen läßt. Typisch an den Scorpions war vor allem das Alter von Gitarrist Michael Schenker (17) – die meisten Krautrocker waren veritable Boygroups der jüngsten Sorte, Musiker über 25 damals höchstens in der Oper und im Jazzkeller denkbar. Schenker war es auch, der dem einigermaßen kompetent (von Conny Plank) produzierten, aber musikalisch holzbiederen „72er Debüt Lonesome Crow (1,5) die wenigen erinnernswerten Glanzlichter aufsetzte. Um danach nach England zu Ufo zu wechseln. Die Anschaffung lohnt sich höchstens aus dokumentarischen Gründen – um nachzuspüren, wie sich die Rockrezeption grundlegend ändert und warum die Scorpions in progressiven Kreisen als Pioniere des Konsum-„Circusrock“ verpönt waren, die mit dem Publikum nicht kommunizieren, sondern es beeindrucken und „bedienen “ wollten. Und Klaus „Hallo Deutschland!“ Meines Schnauzer. Vibrato und „Englisch“ sind wahrlich, ähern, beeindruckend. Höchstpreise zahlen Krautsammler für ein Original von Sperrmülls erstem und einzigem Album Sperrmüll (5). Warum, fragt man sich beim ersten Wiederhören – ist doch nur leidlich origineller Pink-Floyd- und Birth-Control-inspirierter, teutonisch durchgefärbter Rock, irgendwie. Doch dann passiert irgendwas, und plötzlich schaltet der Kopf auf 1973 um, beginnt anders zu schwingen, und es öffnet sich eine verschrobene, seltsame Welt des Denkens, Fühlens und Musizierens. die erahnen läßt, was Krautrock wirklich war/wollte (das Gegenteil von reproduktiver Kompetenz und den Scorpions). Dann vergleicht man die minderjährigen Ernstdenker unwillkürlich mit den 3Ojährigen formatierten Funpopeln, die heute gerne 17 wären (oder wenigstens so klängen] und entflammt für so viel grundalternatives, naives Wollen. Apropos verschroben: Daß Krautrock nichts und alles und manchmal noch mehr war, ist nirgends so gut dokumentiert wie auf den Platten von Faust. Deren zweite. So Far (6), beginnt wie eine Session von Velvet Underground und der Incredible String Band und wird von da an immer merkwürdiger. Daß die irre, wirre und kirre Musik trotzdem funktioniert und nach 33 Jahren noch begeistert (selbst den Nachbarn Götz], das nennt man wohl Genie. Als solches galt in gewissen Kreisen auch Eroc. Auf seinem ersten Soloalbum Eroc (2,5) („1975). an dem der Grobschnitt-Trommler fünf Jahre lang im „Additionsverfahren“ arbeitete (16 einzelne Tonbandspuren, die er zunächst im Kopf und dann im Studio zusammensetzte), klingt er wie eine Art Michael Rother für Arme. Viele von Erocs Melodien könnten auch volkstümlichen Schlagersängern in die Kehle passen, altmodische Pornofilme und Kaufhäuser beschallen, aber sphärischer Klang und defensive Instrumentierung lackieren sie mit Teestuben-Ernsterhabenkeit. Und irgendwann hat man von seinem Gelüdel und Geladel auch wieder genug, weil sich die Ohren nach einem etwas breiteren Klang- und Ideenspektrum sehnen. Auch Album Nummer Zwei (3) (1976) kann den letzten Nerv töten, zeigt aber großes Bemühen und künstlerische Freiheit beim Seiltanz zwischen Originalität und Popanz. Da tut sich mehr, da wird die Sache esoterischer, aber auch lyrischer, imaginativer, vielseitiger und versponnener – mit jeder Menge Kabarettismus (nicht unpeinlich, aber als Zeitdokument erstaunlich treffend] und Hörspielhaftem.

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