Coldplay :: X&Y
Rock: Ihr schwieriges drittes Album macht es einem nicht so leicht wie ihr schwieriges zweites.
Das wievielte Album das „schwierige“ ist, muß ja jede Band grundsätzlich mit ihrem Nervenkostüm und ihrer Muse ausmachen. Coldplays Zweitling A RUSH OF BLOOD TO THE HEAD dürfte aber eine schöne Hypothek dargestellt haben bei der Arbeit an X&Y. Was läßt man folgen auf das überlebensgroße Durchbruch-Album? Zwei Spekulationen schwirrten über X&Y herum: a) Es wird ein funkelndes Elektro-Ding. b) Die machen jetzt Stadionrock. Beide erweisen sich als Schmarrn mit einem Krümel Wahrheit. „Talk“ ist zwar um ein Kraftwerk-Sample herumgebaut, klingt aber nicht nach Düsseldorf, sondern recht klassisch nach Coldplay. Andererseits schimmern und fingern jetzt überall Synthesizersounds und -flächen, die das Album prägen und durchdringen, ohne allerdings den Charakter der Musik über den Haufen zu werfen: X&Y ist zu jeder Minute erkennbar Coldplay. Brüche und Radikalitäten á la KID A (ein schwieriges viertes Album) finden nicht statt, vielmehr klangliche Ausweitung, Anreicherung, Verfeinerung, Verkomplizierung (eben keine Versimplifizierung fürs Stadion). Ein grandioser, facettenreicher Gesamtsound warangestrebt, nur scheint der Band vor Übermotivation ein wenig das Händchen für entwaffnende, stringente Songs erlahmt, taumelt X&Y mitunter in Richtung-Achtung, schwieriges drittes Album voraus! – Oasis‘ BE HERE NOW, ohne gottlob in die Überkandidelungsfalle zu latschen, die dieser Platte das Genick brach. Symptomatisch ist vielleicht der Beitrag von Jonny Buckland, det offenbar langsam zu The Edge mutiert (überhaupt klingt x&Y ansprechender nach Ui als U2 selber) und viele schöne Dinge auf seiner glitzernden Gitarre macht, aber auch etwas beliebig bleibt; mit genialischen Ewigkeits-Hooklines Marke „In My Place“ kommt er diesmal nicht um die Ecke.
Inhaltlich knüpft X&Y direkt an A RUSH OF BLOOD TO THE HEAD an. Der Titel mit seinen zwei Unbekannten wirft schon von weitem grundsätzliche Fragen auf, und zum Auftakt des Openers „Square One“ setzt ein Synthie hinten im Mix mit der markanten Dreier-Tonfolge von „Also sprach Zarathustra“ die Agenda: Die Sinnsuche geht weiter; das Leben, die Liebe, das Dasein, die Vergänglichkeit, wir sehen uns auf der Dark Side Of The Moon oder gleich hinterm Jupiter. „Every step that you take could be your biggest mistake“, singt Chris Martin, stimmlich diesmal auffallend viel in beinahe falsetternen Höhen unterwegs, im gravitätischen „What If“, „Talk“ berichtet von Entfremdung, der elegische Titelsong mit seinem vierstimmigen Choral-Refrain ist „2001“ in einer Nußschale, das düsteT-majestätsiche „Swallowed In The Sea“ und das Radiohead-esk epische „Twisted Logic“ (ein Höhepunkt) sind Kontemplationen über Tod bzw. Weltpolitik. Und selbst „The Hardest Part“, mit „Losing My Religion“-Dengel und Elton-John-Piano der straighteste Popsong hier, hat die Träne im Knopfloch. Da kommt „Fix You“ recht, das mit seinem gospetigen „Bridge Over Troubled Water“-Trostversprechen zum Coldplay-Klassiker wachsen dürfte. Ein nicht umwerfendes, aber gutes Album also. Ernüchternd wird’s am Ende: Da kommt als Bonustrack „‚Til Kingdom Come“, geschrieben für ein Duett mit Johnny Cash, zu dem es nicht mehr kam. Sie spielen den Song im schönsten „The Man Comes Around“-Gewand, mit Piano und Harmonium und so direkt, als säßen sie vor einem. Und nach 55 Minuten grandioser, aber eben auch distanzierender Sound-Tour-de-Force wird klar, zu welcher Intensität diese Band fähig ist, wenn sie sich aufs Einfache besinnt. Vielleicht eine Empfehlung für das schwierige vierte Album.
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