Kasabian

Kasabian

Grooviger Elektro-Indie-Rock aus der englischen Provinz: Kasabian reiten auf einer Welle aus Rhythmus und Harmonien durch die Musikgeschichte.

Beverly Hills, 1969. Am späten Abend des 9. August verlassen Charles Manson und die Mitglieder seiner „Familie“ das Haus der Schauspielerin Sharon Täte. Soeben haben sie eines der berüchtigtsten Gemetzel der US-Geschichte begangen, Kleidung und Hände sind noch befleckt vom Blut ihrer fünf Opfer. Der Satanist und die Anhänger seiner Sekte steigen eilig in den Fluchtwagen, der mit laufendem Motor gewartet hat. Hinter dem Steuer sitzt Linda Kasabian. Komisch ist der Name der britischen Newcomer also nicht – wohl aber kurios, weil er sich auf eine düstere Tradition beruft: In der Mordvilla spielten Nine Inch Nails ihr Album the down ward Spiral ein, die Britpopper von Mansun wollten sich mal Manson nennen, die Beach Boys nahmen sogar mal einen Song auf, den Meuchelmörder und Hobby-Musiker Manson geschrieben hatte. Kasabian schreiben ihre Songs glücklicherweise selbst, wenn auch in reichlich sektenhaftem, weil weitabgewandtem Ambiente eines weitläufigen Bauernhofs in der entlegenen Provinz Rutland. Ausgerechnet dort, wo Fuchs und Hase sich „Gute Nacht“ sagen, wird die Musik gemacht, zu der Englands Jugend derzeit die Nächte durchtanzt. Denn die Hit-Single „LSF (Lost Souls Forever)“ hat in Überfülle, was die zeitgenössische Konkurrenz von Embrace bis Keane offenbar überflüssig findet, den Groove nämlich. Nun mag ein Groove gerne mal über drei Minuten und 19 Sekunden tragen, geschenkt. Aber die drei Minuten und 19 Sekunden der Single verhalten sich zu den 44 M inuten und 32 Sekunden des Albums wie ein Geschenk zu einer Offenbarung. Und die wird, wie alle Offenbarungen, unterschiedlich interpetiert. In England rufen die Experten bereits eine Renaissance des „Hardcore“ aus, einer kruden Stilrichtung aus House und HipHop, die Mitte der Neunziger in Städten wie Birmingham, Wolverhampton angesagt war-und in Leicester, der Heimatstadt von Kasabian. Flaggschiff des so genannten „Rave“-Hypes war seinerzeit eine Band namens The Soup Dragons, die bald ebenso vergessen war wie der Hype selbst. Kasabian aber steigen tiefer hinab in die Popgeschichte, und sie nehmen mehrere Stufen auf einmal. The Music, Oasis, Air, Brian Eno, The Prodigy und The Charlatans rauschen zu schnell vorbei, als dass sie wirklich Pate stehen könnten für die zehn ebenso entspannten wie präzisen Songs auf kasabian. Da sind die irrlichternden frühen Pink Floyd, da sind deutliche Anklänge an loy Division. Und da sind The Verve, mit denen Kasabian mehr gemein haben als die warme Stimme von Tom Meigham, die sehr an Richard Ashcroft erinnert. Beide Bands teilen sich die musikalische Methode: Nimm eine simple, gerne auch gesampelte Melodie (in diesem Fall von Primal Scream) und schicke sie auf einen wilden Ritt, auf einer Welle aus Rhythmus und Harmonien – allerdings nicht bis in den Sonnenuntergang, wie bei The Verve, sondern nur so lange, bis sich die Melodie erschöpft und die Welle bricht – also in der Regel nach vier Minuten. Das simple Gerüst dieser Musik ist so solide konstruiert, dass Kasabian darauf nach Herzenslust herumturnen und experimentieren können – zumal kein Geringerer als ]im Abbiss (Placebo, U.N.K.L.E.) an den Reglern dafür sorgt, dass sich niemand weh tut, wenn sich akustische und elektrische Gitarren, weiche Akkorde und harte Riffs, flirrende Seventies-Orgeln und schmierige Eighties-Synthie-Flächen zum Stelldichein der Generationen treffen. Wie klänge wohl Isaac Hayes, wenn er zu einer hektischen Komposition von Ennio Morricone rappen müsste? Wie „Butcher Blues“. Was wäre, wenn die Chemical Brothers mit den Fläming Lips gemeinsame Sache machten? „Test Transmission“ lässt’s erahnen. Kasabian vermählen die rhythmische Effizienz von Neu! mit der melodischen Verschwendungssucht von Suede. Kasabian sehen klasse aus. Kasabian kommen zur rechten Zeit. Kasabian sind clever. Vielleicht sogar einen Tick zu clever, zu selbstbewusst, zu durchdacht.

Im Prozess gegen Charles Manson sagte Linda Kasabian später übrigens als Kronzeugin gegen die „Family“ aus. Sie kam unbehelligt davon.