The Cramps – Live At Napa State Mental Hospital DVD
Erstaunlich, aber wahr: Seit den seligen fünfziger Jahre feierte nahezu jedes Jahrzehnt sein Rock’n’Roll-Revival. Selbst in den kühlen Achtzigern rockte nicht nur die Traditions-Schmalztolle Shakin‘ Stevens, sondern auch die wieselflinken Stray Cats, und unter dem Etikett Psychobilly schmierten sich hektische Neurotiker wie The Meteors, The Screaming Blue Messiahs, Blood On The Saddle, Tex & The Horseheads oder The Raymen ranziges Motorenöl ins Haar. Doch keiner huldigte der Subkultur des White Trash manischer, ließ Gretsch-Gitarren intensiver aufheulen, fusionierte bösartigen Rockabilly gezielter mit schmierigem Sex und psychedelischen Drogen, als die von Sänger Lux Inferior und Gitarristin Ivy Rohrschach gegründeten Cramps. Noch bevordie mittlerweile unsterblichen Independent-Ikonen ihr von Rocklegende Alex Chilton famos produziertes Debüt songs the lord taught us 1980 unter die Leute brachten, galten sie schon als Schutzheilige des US-Punk-Undergrounds. Eines ihrer außergewöhnlichsten Konzerte gab das Originalquartett mit dem mittlerweile verstorbenen Gitarristen Bryan Gregory und Ex-Electric-Eets-Schlagzeuger Nick Knox am 13. Juni 1978 in der geschlossenen Abteilung des Napa Stale Mental Institute, kurz nach den Studiosessions zur EP gravest hits. Deraugenscheinliche Enthusiasmus der psychisch kranken Insassen wirkt allein durch die schleierartige Grobkörnigkeit der nur mit einer Kamera gefilmten monochromen Aufnahmen beunruhigend und verstörend. Die Verstärker ächzen entsetzlich. Stimmbänder überschlagen sich vehement, verstümmelte Songfetzen landen auf der Nachtschattenseite -wie in einem infernalischen Snuff-Movie kann man sich des infam Gezeigten nur schwerlichst entziehen. Epizentrum Interior integriert die sich flugs auf der Bühne tummelnden Patienten wie selbstverständlich, die sich ihrerseits eifrig an Cramps-Klassikern wie „Mystery Plane“, „Whats Behind The Mask“. „Human Fly“. „Domino“, „Love Me“. „Twist & Shout“ und „TV Set“ delektieren. Zum rauschenden Finale des absonderlichen Rock’n’Roll-Energieaustausches scheinen die Rollen vertauscht und der Zuschauer tragt sich unwillkürlich: Wer gehört zu den Patienten und wer zur Band? Ein eindruckvolles Dokument des frühen NewWave, ein Artefakt der Gegenwelt, noch bevor das Big Business seine gierige Kralle danach ausstreckte – widerlich abstoßend, ekelhaft faszinierend und zwanghaft betörend zugleich.
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