Mykki Blanco im Video-Interview: „Ich musste viele verschlossene Türen aufbrechen“
Mit BROKEN HEARTS & BEAUTY SLEEP veröffentlichte New Yorker Queer-Rapper*in Mykki Blanco das erste Album seit fünf Jahren. Wir haben uns mit Mykki über die Hinwendung zum Pop, Hochzeiten, Gedichte und Empowerment unterhalten.
Vor zehn Jahren erschien Mykki Blanco auf der Bildfläche der Musikindustrie — als punkiger, nicht-genderkonformer Stern, der im Queer-Rap pionierte und heteronormative Grenzen im HipHop sprengte. Zwischen Ballroom-Kultur, Performance-Kunst, DIY-Punk-Ansatz und basslastigen HipHop-Beats bewegten sich Mykkis Veröffentlichungen.
Mit dem aktuellen Album BROKEN HEARTS & BEAUTY SLEEP hat sich Blanco fünf Jahre Zeit gelassen. Vor allem um den eigenen Sound weiterzuentwickeln: „Ich konnte einfach nicht auf derselben Kurve weiterfahren“, erklärt Mykki Blanco. „Ich kann mich nicht ernsthafte*n Künstler*in nennen, wenn ihr nicht einen Roadtrip machen könnt, ohne ein Mykki-Blanco-Album von Anfang bis Ende zu hören.“
Die kürzlich erschienene Platte BROKEN HEARTS & BEAUTY SLEEP ist neun Tracks lang und wird von Blanco liebevoll Mini-Album genannt. Unter den hochkarätigen Features finden sich unter anderem Jamila Woods, Kari Faux, Big Freedia und Devonté Hynes aka Blood Orange.
Die Platte entsprang konzeptuell einer erstmals gesunden, romantischen Beziehung, so Blanco: „Es war heilsam. Gott brachte mir diesen Mann in mein Leben, um mir beizubringen, wie ich mich selbst besser lieben kann. Durch seine Liebe realisierte ich, dass ich auch bereit bin meinen Wert zu sehen.“
BROKEN HEARTS & BEAUTY SLEEP — Ein pop-lastiger Genre-Grenzgänger
Zwar kam diese Partner*innenschaft bereits zu einem Ende, als Mykki Blanco 2018 mit der Arbeit am Album begann, doch der romantische rote Faden blieb. Der akustischer Hybrid aus Pop und HipHop spannt sich gleich über multiple Genre-Einflüsse — mal als beatlastige No-Commitment-Hymne („Summer Time“), sanfte Dev-Hynes-Produktion mit Soul-Chören („It’s Not My Choice“) oder Elektro-Pop-Song mit R’n’B-Hook („Love Me“).
Wir haben uns mit Mykki Blanco im Video-Interview über Empowerment, die Hinkehr zum Pop, Gedichte und Hochzeiten unterhalten. Blanco ist nicht-binär, wir verzichten deshalb auf Geschlechter-Pronomen wie „er“ oder „sie“.
Musikexpress.de: Vor Kurzem hast Du Dein Mini-Album „Broken Hearts & Beauty Sleep“ veröffentlicht. Was bedeutet der Titel für Dich?
Mykki Blanco: Fast alle vorherigen Titel meiner Veröffentlichungen waren sehr konzeptuell: Von meinen Mixtapes „Cosmic Angel: Illuminati Prince/ss“ und „Gay Dog Food“ zu meiner zweiten EP „Betty Rubble: The Initiation“. Ich komme von einem multidisziplinären künstlerischen Background, habe auch viel mit Performance und Konzeptkunst gearbeitet. So bin ich dann auch meine Veröffentlichungen angegangen — als würde ich ein Kunstwerk benennen. Mit „Broken Hearts & Beauty Sleep“ wollte ich zum ersten Mal etwas ausprobieren, das poppiger und direkter ist. Nachdem ich die Tracklist erstellt habe, bemerkte ich, dass die meisten Songs auf dem Mini-Album Lovesongs sind. Dass sich das wie ein roter Faden durch die Platte zog, hatte ich bis dahin überhaupt nicht auf dem Schirm. Das Album handelt von all den verschiedenen Wegen, die Liebe nimmt und die eine Beziehung ausmachen. „Broken Hearts & Beauty Sleep“ beschreibt Dysfunktionalität und ein Ende, aber auch Reflexion und den Blick in die Zukunft.
Der Opener heißt „Trust A Little Bit“ und auch in einem Statement zum Album hast Du erwähnt, dass die Platte aus einer zum ersten Mal gesunden und vertrauensvollen Beziehung gewachsen ist. Was bedeutet Vertrauen für Dich?
Ich denke, Vertrauen ist sehr selbsterklärend. Aber liegt gleichzeitig im Auge der Betrachtenden. Für mich bedeutet es gemeinsam eine Beziehung zu schaffen, in der man die Grenzen der anderen Person respektiert. Eine Ebene der Sicherheit gefunden hat und diese auch stets mit Fürsorge und Empathie behandelt.
Um beim Thema romantische Beziehungen zu bleiben: In Deinem Video zu „Free Ride“ sieht man eine Hochzeit. Fühlst Du Dich wohl auf Hochzeiten? Ich habe das Gefühl, viele lieben oder hassen es entweder.
Tatsächlich ist das keine Hochzeit, sondern eine Taufe in „Free Ride“.
Das haben wir offenbar falsch verstanden. Danke für’s Korrigieren. Was ist trotzdem Dein Gefühl dazu, was das anbelangt?
Hochzeiten? Ich besuche die Hochzeit meine*r besten Freund*in nächsten Monat. Ich liebe Hochzeiten. Ganz ehrlich, ich kann es nicht abwarten, meine eigene zu planen. Es ist einfach ein wundervoller Vorwand, um alle für ein paar Tage zusammen zu bekommen, viel gutes Essen zu essen und zu feiern. Und ich liebe Situationen, in denen man Familie und Freund*innen vereinen kann. Jetzt wo ich älter bin, kann ich Feiern mit der Familie auch viel mehr wertschätzen. Wenn du Teenager bist, willst du ja nur mit deinen Freund*innen rumhängen.
Gilt das auch für Taufen?
Hier war es explizit ja eine Babytaufe. Im Video ging es uns vor allem darum, zwei Menschen darzustellen, die nicht unbedingt die gleiche sexuelle Orientierung teilen, aber ein Kind zusammen haben und großziehen. Ein Thema, das in der Welt ankommen sollte. Zudem sollte das Zusammenkommen all der Menschen bei einer Feier nach der Pandemie auch eine Art Wiedergeburt darstellen — wieder zusammen sein zu können.
Du hast auch eine Line in „Free Ride“, die lautet: „Toxic like Brit, but you not that hip“. Bist Du Britney-Fan?
Ich habe da auf jeden Fall mit dem Zeitgeist der Dokumentation gespielt (Anm. der Red.: „Framing Britney Spears“). Ich bin zwar kein Hardcore-Fan, aber definitiv Fan. Vor allem will ich das Beste für sie. Keinen öffentlichen Zusammenbruch.
Wenn es um Ikonen geht: Welche Künstler*innen haben Dich in Deiner Musikkarriere besonders inspiriert oder tun es gerade?
Ich habe mich immer von Missy Elliott inspirieren lassen, von Eminem, David Bowie und Prince.
Auf Deiner Platte hast Du sehr viele interessante Song-Features. Darunter Kari Faux, Jamila Woods, Devonté Hynes und Big Freedia. Was ist das Spannendste daran, mit anderen Künstler*innen zusammen zu arbeiten?
Normalerweise denke ich nicht an das Feature bevor ich meinen Song fertigstelle. Dann brainstorme ich ein paar Tage, manchmal Wochen und selten sogar Monate bis ich eine Idee habe, wen ich in den Song einbringen könnte. Das Interessanteste ist: Wenn ich jemanden als Feature-Partner*in gefunden habe, erwacht der Song zu ganz neuem Leben. Es ist fast wie ein Wiedergeburt.
Wenn es um die Ästhetik Deiner Single- und Albencover geht: Die Cover-Illustrationen stammen von der Illustratorin und Künstlerin Anna Degnbol. Ihre Arbeiten haben diesen sehr mystischen und fluiden Touch, der sich in der Natur und den Menschen widerspiegelt, die sie illustriert. Was hat Dich in ihren Arbeiten angezogen?
Oh mein Gott, ich bin ein Riesenfan von Anna. Es gibt diese romantische, traumhafte Qualität in ihren Illustrationen. Sie sind so detailliert, einnehmend und auch sexy. Ihre Arbeit hat mich in den Bann gezogen, weil sie ganze Welten erschafft. Und ich liebe es, wenn Künstler*innen ein Universum erschaffen, in das du eintreten kannst. Ihre Arbeiten erzeugen das für mich — sie sind voller Mysterien und ich will ein Charakter in ihrer Welt sein. Was ich ja jetzt auch bin! Neben der Musik finde ich, dass die visuelle Ästhetik einen großen Teil vom Ganzen ausmacht. So wird alles zu einer multidisziplinären Erfahrung.
Du bist nun schon seit einer Dekade im Musikbusiness. Hast verschiedene Genres in Deinen Stil eingebunden und Definitionen dadurch geöffnet — vor allem im HipHop. Welche positiven Entwicklungen konntest Du in dieser Zeit beobachten?
2012 habe ich angefangen Musik zu machen mit 25 Jahren. Und die Welt hat sich so sehr verändert — allein in diesen zehn Jahren. Andere befreundete Künstler*innen und ich haben in dieser Zeit Musik gemacht, mit der wir Pionierarbeit geleistet haben. Dadurch hat sich die Atmosphäre gelockert und auch die Akzeptanz für queere Artists hat sich erhöht. Viele Themen waren damals noch Tabu. Als ich anfing, waren mir so viele Türen verschlossen. Die musste ich aufbrechen. Dadurch, dass wir so viel über Themen des Gender und der Sexualität gesprochen haben, die nicht Teil des Mainstreams waren, konnten wir dazu beitragen sie letztendlich in den Mainstream zu bringen. Das ist die größte Veränderung und sie fühlt sich sehr positiv an.
Dein Projekt Mykki Blanco hast Du mit den Pronomen She/Her begonnen, selber hast Du über Deine Genderfluidität gesprochen und verwendest heute die Pronomen They/Them. In Deutschland führen wir noch immer eine Diskussion über eine Sprache, die es schafft, alle Gender einzubeziehen. Auf welche Art und Weise, findest Du, kann Sprache Realität schaffen?
Ich denke, dass Sprache in jedem Fall Realität erschafft. Die Verwendung von Sprache hat es mir ermöglicht meine Identität weiter zu erkunden. Und dadurch auch meinen Platz in dieser Welt zu finden. Und das ist eine sehr selbstermächtigende Erfahrung. Dafür bin ich sehr dankbar, dass Sprache den Menschen hilft auch eine Art spirituelle Grundlage zu schaffen.
Auf Instagram hast Du geteilt, dass Du an der Arbeit des Kurzfilms „Tajabone“ beteiligt warst. Du hast das Gedicht geschrieben, das sich durch das Narrativ zieht. Kannst Du uns etwas über Deine Arbeit an dem Projekt erzählen?
„Tajabone“ zelebriert Schwarzes, französisches, queeres Leben. Es ist ein wunderschöner Film, der von einem Freund von mir produziert wurde — Nicholas Huchard. Er fragte mich auch, ob ich ein Gedicht dafür schreiben könne. Ich sah mir das Material an. Es wurde vom Morgen bis zum Sonnenuntergang an einem Strand in der Normandie gedreht. All die Bewegungen, die Formen und das Licht zelebrieren die Tänzer*innen und ich habe versucht die Story in meinen Worten wiederzugeben, um meine Leute zu empowern.
Ist das Schreiben von Gedichten auch der ursprüngliche Ansatz Deines Songwritings?
Über Gedichte kam ich zum Schreiben. Auch wenn Songwriting ein anderer Muskel ist als Lyrik. Aber am Ende bilden Gedichte immer die Grundlage für vieles, das ich tue.
Du hast schon erzählt, dass du einen sehr multidisziplinären Ansatz in Deinen Arbeiten hast. Kürzlich hast Du auf Instagram dem berühmten Butt Mag zum 20. Geburtstag gratuliert und Dich bedankt, dass sie Deine Fotografien gedruckt haben, als Du noch ein*e sehr junge*r Künstler*in warst. Arbeitest Du noch immer in der Fotografie? Und wenn ja, welche Situationen oder Menschen in Deiner Umgebung inspirieren Dich zum Fotografieren?
Als ich nach New York City kam, war ich 21 Jahre alt. Und ich dachte, ich würde als zeitgenössische*r Künstler*in arbeiten. Die Fotografien, über die Du geredet hast, wurden auch veröffentlicht, als ich erst 21 Jahre alt war. Mit der Fotografie habe ich ein paar Jahre weitergemacht. Es gibt tatsächlich auch einige Fotos, die ich gerne sammeln würde, um sie in einer Publikation zu veröffentlichen. Es sind Portraits von Freund*innen, darunter auch einige, die mittlerweile bekannte Personen sind. Aber weil ich gerade erst angefangen habe auf eine völlig neue Weise an Musik zu arbeiten, konzentriere ich mich komplett darauf. Zum ersten Mal steht die Musik für mich über allen anderen kreativen Professionen, in denen ich arbeite.
Zum Abschluss drei schnelle Fragen an Dich, die sich um den Sommer drehen, denn gerade ist es sehr heiß und Dein Release hat einen starken Sommer-Vibe. Erstens: Was ist Dein Go-To-Tipp für die Sommerhitze?
Holt euch ein Mango-Kokosnuss-Zitronen-Wassereis. Oder ein gutes, klassisches italienisches Eis. Stay hydrated und reist ans Mittelmeer oder das Ägäische Meer, wenn ihr könnt.
Okay, Du hast damit die letzten beiden Fragen vorweggegriffen: Was ist Dein Go-To-Sommer-Drink und was ist Dein Go-To-Sommer-Essen?
Für den Drink wahrscheinlich ein Aperol Spritz. Und mein Sommer-Essen ein Branzino.
Streamt hier BROKEN HEARTS & BEAUTY SLEEP von Mykki Blanco: