Yatha Sidra – A Meditation Mass
Als Jugendlicher reagiert man auf Signale. Zum Beispiel wenn auf einer Platte dieses Kopfzeichen drauf ist: Dann wird der Kopfhörer aufgesetzt und zugehört, weil dann wird es wichtig! Weil: Brain = Hirn, gell! Notfalls ein bisschen schütteln, wenn man flippt, aber bitte fließende Bewegungen! Und sofort fällt mirwieder ein, warum Punk eine solche Erlösung war. Aber das ist ungerecht; schließlich waren es gerade die ersten New-Wave-Bands und Glam-Exaltierte wie Bowie, Roxy und deren Enol. die immer wieder Kraut in den Topf warfen, wenn es darum ging, sich und ihre Musik zu erklären lund den großen Insider-Maxe zu markierenl. Die Überprüfung zeigt, dass das, was da im Krautfass garte, so unterschiedlich und divers war wie nur überhaupt irgendwas: Welten lagen und liegen zwischen Neu! und Amon Düül II, zwischen Floh de Cologne, Ramses und Faust. Dabei erweist sich, dass „Kult“ manchmal die Abkürzung für „Komischer Unfug & lustige Trotteleien“ ist… Cluster blieben 1971 von Kluster übrig (daher hieß ihr Debüt von 1972 auch cluster !!3,5 Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius erfanden die Ambient-Musik, als Eno noch kaum wusste. wie man einen Synthesizer an- und abschaltet. Viel mehr taten die beiden allerdings auch nicht-, anschalten, wabern und schwellen lassen, paar Töne dazuzüpfeln und -tüpfeln, ab in die Bandschleife damit und irgendwann wieder abschalten (ein Stück heißt „George“, und das ist keine Harrison-Diminuisierung). Klingt „interessant „, wenn man alte Synthesizer mag, die ganz ohne Sequencer laufen, aber Nichtdirekt-Liebhaber müssen sich entweder historisch-soziologisches Hintergrundwissen anlesen Iwas bedeutet das jetzt? und warum?) oder einen guten Tag mit leerem Kopf und hoher imaginativer Reizbarkeit erwischen: dann rollt der Film im Hirn los, und der Effekt ist wie bei diesen alten 3-D-Bildern: Wenn’s einmal hinhaut, geht’s immer. Bezeichnend, dass Cluster sich damals als „Lärmsägen“ beschimpfen lassen mussten- heute wirkt ihre Musik wie eine meditative Heranpirschung an die absolute Stille. Zusammen mit Neu!-Schöngeist Michael Rother hießen Cluster Harmonia und klangen 1974 auf musik von harmonia * 4M viel konkreter und daher aber auch fader: wie ein vorzeitiger Aufguss dessen, was später als erfreulicherer Teil der NdW durch die Hitparaden-Randbezirke zickelte. Trefflicher Witz, ein Stück „Sehr kosmisch“ zu nennen (das mittlere „s“ überliest man automatisch]. Ansonsten: ebenso freundlich, skurril und relevant wie eine Spülmittelwerbung von 1974 (vielleicht ist das jetzt sogar ein Lob?]. Yatha Sidra nannten sich ursprünglich Brontosaurus und wollten Jethro Tüll sein, ähem. Rolf und Klaus Fichter, Matthias Nicolai und (Flötist!] Peter Elbracht sperrten sich während dieses Werdungsprozesses ein paar Tage weg und feierten eine „Meditations-Messe“, was man damals schon mal tat, wenn genug Gras da war. Dann wählten sie das Sanskrit-Wort für „ewiger Friede“ als neuen Bandnamen und gingen in die Musikgeschichte ein als eine der wenigen Bands mit einem einzigen veröffentlichten Stück. Denn die vier mäandernden Teile auf a Mediation mass 6 sind ein 40-minütiger [und damit schon mal extrem „progressiver“! Spielfluss, der David-Hamiltonartige Sanftwelt-Visionen von Open-Air-Festivals in Blumenwiesen und an Waldrändern ohne „Merchandising“, Softdrink-Stand und Sponsoren heraufbeschwört, damals „kosmisch“ wirken sollte und heute kurios, abgedreht, naiv und seltsam charmant wirkt, weil die Beteiligten sich und ihre Musik gar so ernst nehmen, überhaupt keine Neigung zur Herstellung eines marktkompatiblen Produkts zeigen und damit einen, doch: Kosmos öffnen, der sich heutigen deutschen Klangartikel-Herstellern und ihren Konsumenten ebenso vollständig entzieht wie einer Ameise auf dem Aldi-Parkplatz eine Vorstellung von der Galaxie Alpha Centauri. Ein im hierzuländlichen Musikschaffen seltener, möglicherweise zufälliger, deshalb aber nicht weniger genialer Moment zeitloser Schönheit und [wenngleich bescheidener] Größe.
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