Tocotronic – 1Oth Anniversary DVD + CD
Die Band, ohne die Olli Schulz und der Hund Marie nicht möglich gewesen wären, feiert Jubiläum.
Mal vereinfacht gesagt so: Ende 1994. Der deutschsprachige Breitenrock speist sich aus dem Altherren-Kabinett Westernhagen, Niedecken, Kunze. Grönemeyer. den Großpunkfirmen Ärzte (eben wiedervereint) und Hosen und den schwitzrockigen Auslassungen von Leuten wie Selig und Brings. In Hamburg passiert in einer keimenden Undergroundszene um Alfred Hilsbergs Label Whafs So Funny About und das frisch gegründete Haus L’Age D’Or zwar seit Ende der 8oer einiges und immer mehr. aber draußen kriegen das nicht viele mit. Bands wie Huah!, Die Regierung, Sterne, Blumfeld und, äh, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs wühlen exklusive Indie-Zirkel auf, aber kein Majorlabel würde sie mit der Kneifzange anfassen. Da pieksen im Frühjahr 1995 Tocotronic mit ihrem Lado-Debüt digital ist besser mitten hinein in den Nerv einer Generation, die keine Lust hat auf zottelige Flanellhemden aus Seattle, sondern was Smartes will und nur darauf gewartet hat, eine Band wie diese drei dünnen Indierock-Typen zu ihren Blur, ihren Nirvana zu krönen. Dirk von Lowtzow. Jan Müller und Arne Zank haben genau die richtigen Lieder, die richtigen Slogans und den richtigen Lärm und diesen großartig sexy schlurfenden, linkisch-intellektuellen Cool, der nie zur hohlen Slackerpose gerinnt. Die Frisuren und Gewänder der Popjugend werden nie mehrdie selben sein. Und überall fangen sie an, Bands zu gründen und sich die Jan-Müller-Tolle übers Auge hängen zu lassen. Es ist „Diskurs-Rock“ und „Hamburger Schule“ mit „schwierigen und unpeinlichen Texten“ – deutschsprachiges Rocken gewinnt ein völlig neues Selbstverständnis, und neun Jahre später haben wir eine Welt, in der kein Westernhagen mehr durch Stadien brünftelt, sondern so unterschiedliche Typen wie Sportfreunde Stiller und Wir Sind Helden große Festivalbühnen herrocken und es überall brummt und summt von Tapete bis Grand Hotel Van Cleef, vor Angelikas, Mias und Virginias, bis rauf in den Mainstream. Und mittendrin Tocotronic, Grand Seigneurs schier, auf einem Stapel toller Platten sitzend, und man ist noch immer gespannt wie ein Flitzebogen auf den nächsten Ton. den sie von sich geben und man redet nicht gern drüber, weil es abgedroschen klingt, aber: Sie sind die wichtigste deutsche Band der letzten Dekade. Kann man es mal so vereinfacht sagen? Jetzt sagen wir es mal so vereinfacht. Zum Geburtstag gibt’s ein zweischeibiges lund wie aus Trotz englisch betiteltes] Kompendium aus Standards und Raritäten. Auf einer Audio-CD sind alle 23 bisherigen B-Seiten (exklusive irgendwelcher Remixes] versammelt, viele Perlen darunter wie die Coverversion von The Special A.K.A.s „Racist Friend“. Die DVD kredenzt alle 13 leinen davon versteckt! Tocotronic-Videoclips Imuss man da was zu sagen? Muss man nichts zu sagen,- ist halt superl, dazu Extras von einem komplett verwackelten Videobootleg eines frühen Auftritts in Wien über eine „The Making Of KOOK 98/99“-Kurzdoku mit Laubfröschen und sprießenden Barten im Studio in Frankreich, einen Super-8-Film von Arne Zank über die USA-Minitour ’98, einem „Tourspecial 2002“ linklusive einer gewiss raren Soundcheck-Performance von Right Said Freds „You’re My Mate“] bis zu ihrem von Alex Christensen anmoderierten grandiosen Auftritt bei Top Of The Pops 2002. Und dann kann man sich noch von einer Lederhand die Nadel auf die allererste Toco-7″ legen lassen – ein Triumph des Multi-Media-Gedankens. Das braucht man zwar alles nicht ganz so notwendig wie bald mal wieder ein neues Album. Aber das heißt ja nichts.