Talking Heads – Once In A Lifetime
Aufschlussreich, was David Byrne zur Plattensammlung der jungen Talking Heads zu sagen hat: „Stooges, John Cale, Funkodelic, O’Jays und James Brown, dazwischen vereinzelt Folklore von den Bahamas und aus Bali“-zu gleichen Teilen also Rock-Avantgarde, Punk, Funk und Weltmusik, womit das Wirkungsfeld derTalking Heads hinreichend umrissen ist. Allerdings: Was die Truppe meilenweit über Kollegen stellte, die zur selben Zeit aus den selben Töpfen schöpften, war ihr ungeheures Talent, daraus eine ureigene, zündende Melange zu brauen. Und die Fähigkeit, diese Zutaten mit eigenen Aussagen und einzigartigem Stil in einen neuen, hochaktuellen popkulturellen Zusammenhang zu stellen.
Wo die Ramones Lärm gegen Rock-Biederkeit setzten, Blondie sich zur Sinnlichkeit der Popästhetik bekannten. Patti Smith ihre Existenzialisten-Lyrik mit Rock’n’Roll vertonte, versuchten die Talking Heads die Synthese aus der Körperlichkeit schwarzer Musik und dem kühlen Intellekt der Kunsthochschulen. Mit grandiosem Erfolg.
CD 1, die Frühphase: Die Musik klang energetisch und kompakt, hin und wieder ungelenk, zickig gar, die Drei-Minuten-Fanale der ersten beiden Alben, talking HEADS: 77 Und MORE SONGS ABOUT BUILDINGS and food pulsierten nervös und hektisch. Neurotische Lyrics spiegelten die Zerrissenheit der urbanen Zivilisation. Die textliche Verstörtheit kontrastierten die Musiker mit gelegentlichem Hang zu karibischer Leichtigkeit und geschickt gesetzten Discoelementen – „Psycho Killer‘ wurde prompt zur ersten Pophymne der Band. Byrne gab den intellektuellen Bohemien, sang mit hysterisch überkippender Stimme und schaute dabei so ernst wie seinerzeit Stummfilmphilosoph Buster Keaton. CD 2 eröffnet mit „Zimbra “ vom dritten Album fear of musicr Afrikanische Polyrhythmik trägt eigenartig kühle, avantgardistische Klangeffekte. Hier und auf ihrem vierten Album, dem grandiosen remain in Light, arbeitete die Band mit Brian Eno als Produzenten. Und der ließ sie noch tiefer in die afrikanische Rhythmik eintauchen, tüftelte noch dramatischere Soundteppiche aus. 1980 lag die Kritik den Heads zu Füßen, und die Band schaffte es. ihr ambitioniertes Konzept auf der Bühne zu inszenieren. „Burning Down The House“ von speaking in tongues I1983] wurde zu einem der Schlüsseltracks des ’84er-Konzertfilms „Stop Making Sense “ (dessen Soundtrack für diese Box allerdings nicht berücksichtigt wurde).1985 waren die Talking Heads im Mainstream angekommen, little creatures, mit dem CD 3 startet, geriet zum reinrassigen Popalbum, ohne dabei im Niveau abzufallen. Die Band konzentrierte sich nun auf griffige Hooks und stringente Songs. Hits wie „Road To Nowhere“ und „And She Was“ waren die fast zwangsläufige Folge. Damit aber hatten die Heads ihren Zenit erreicht – ab jetzt ging’s bergab, wenngleich auf höchstem Level, true stories (1986] und nakeo [1988J. hier mit je fünf Songs vertreten, konnten keine Impulse mehr geben. Neben Alternative- und Live-Versionen bringt das Set noch einige Songs aus der Frühphase vor dem ersten Album. Besonderes Bonbon: die um drei Clips erweiterte DVD-Version der Videosammlung „Storytelüng Giant“. In den 13 Clips lässt sich sehen, dass Byrne das hohe musikalische Niveau auch visuell umsetzte. Das 80-seitige Buch, in dessen Umschlagklappen CDs und DVD eingearbeitet sind, glänzt mit vielen bislang ungesehenen Fotos sowie Notizen/Essays der Bandmitglieder und Zeitzeugen.
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