The Creatures – Hai!

Siouxsie & The Banshees waren schon mit ihrer ersten Single „Hongkong Garden“ 1978 sehr weit weg von dem, was Rockmusik ist oder üblicherweise zu sein hat. Schon damals, noch glühend und brodelnd im jugendlichen Zorn und Übermut, prägten rhythmische Strukturen, Muster und Wellen ihre Musik mindestens ebenso stark wie die (anfangs krachigen, später zarten, immer vollständig und komplett zuckerfreienl Melodien, ganz zu schweigen von etwaigen Einflüssen aus dem alten Rock-Blues-Kochbuch: Die gab und gibt es für sie einfach nicht. Und schon damals lockte der ferne Osten, was um so erstaunlicher ist. wenn man sich heute die Gesichter der ehemals grell-schrillen Punkrocker Siouxsie und Budgie anschaut und darin etwas sieht, was man nicht treffender als mit dem Wort „englisch bezeichnen könnte – man möchte am liebsten gleich das Teewasser aufsetzen, wenn Herr Budgie sein verschmitztes Lächeln lächelt. Da ist aber noch mehr: Wagemut, Abenteuerlust, Freude an der reinen Musik. Die Geschichte geht so: Irgendwie, irgendwann ler erklärt das im Booklet genauerl lernt Budgie den Taiko-Trommler Leonard Eko von Kodo kennen, den er seit langem verehrt, und weil seine Leidenschaft so sehr glüht, nützt man die Gelegenheit eines Japan-Abstechers der Banshees, verabredet sich per E-Mail und bucht ein Studio für den Tag nach dem Auftritt in Tokio. Für Vorbereitung, Absprache, gar Planung und Komposition bleibt keine Zeit; man setzt sich zusammen und trommelt. So was kann schief gehen, im Normalfall kommt eine nette Session raus, hier war es, laut Budgie, wie „einen alten Freund zu treffen und gleichzeitig wie eine dieser Unterhaltungen mit einem völlig Fremden, wo man verblüfft feststellt, wie viel man gemeinsam hat‘. Darüber legte Siouxsie eisrauchige, katzenwarme Melodiebilder – fertig. Das Ergebnis zeigt mal wieder, was wir von niemandem so gut lernen können wie von der ersten New-Wave-Generation der Jahre 1976 bis‘ 78: wie aus dem scheinbar größten Lärm annähernd totale Klarheit entstehen kann. Die donnernden, hypnotisch verwobenen, rieselnden, schwebenden, zuckenden, splitternden, glitzernden Rhythmus-, ja: -landschaften, die Budgie und Eto erzeugen, reißen den Hörervom ersten Schlag an so mit, wie sie das auch mit den Musikern getan haben (eindrucksvoll zu besichtigen auf der beiliegenden DVD). Wie aus derart wildem Sich-gehen-Lassen auch nur annähernd so etwas wie „Songs“ entstehen konnte, ist ein Rätsel, zu dessen Lösung selbst Siouxsies magische (und ohne andere Melodieinstrumente um so magischere] Stimme nur Anhaltspunkte geben kann. Wir können den Giftschrank öffnen, in dem das Wort „Genie‘ lagert. Denn hau ist einer der seltenen Fälle, denen man nur so gerecht werden kann.