Keine Kompromisse :: Irreversibel
Alles umgekehrt. Wie man das schon aus Memento kennt, entfaltet auch der Skandalfilm des letztjährigen Cannes-Festivals seine Handlung rückwärts, hier in zwölf Passagen, die jeweils ohne erkennbaren Schnitt gedreht wurden. Anders als Memento gewinnt Irreversibel jedoch mit jedem Sehen, weil es von vornherein keine Überraschungen gibt: Das Ende ist vorgezeichnet, gleich in der ersten Einstellung nach der furiosen Titelsequenz, die einer beispiellosen Gewaltexplosion weicht. Gaspar Noés zweiter Spielfilm erzählt eine simple Rachegeschichte, und an den Anfang hat er die Rache gestellt. Danach erlebt man die Suche nach dem Täter, und erst dann wird man Zeuge der unaussprechlichen Tat, einer siebenminütigen brutalen Vergewaltigung, die Darstellern und Zuschauer alles abverlangt. Was darauf folgt – die vorangegangene Party, die Vorbereitung -, kann beim ersten Sehen nur wie ein Anhängsel wirken: Nach Noés Vorschlaghammer-Behandlung fühlt man sich wie paralysiert: Jeder inszenierte Gewaltakt ist hier auch ein Gewaltakt gegen den Zuschauer. Zusammen mit der grimmigen Weltsicht („Zeit zerstört alles“ ist das Eingangs-Motto) brachte das Kritiken ein, die Irreversibel „faschistoid“ oder „moralisch bankrott“ schimpften. Vielleicht muss man so reagieren, reiner Selbstschutz. Wer es aber wagt, sich diesem Film ein zweites Mal zu stellen, wird Verblüffendes feststellen: Zwar treffen die zwei Gewaltszenen erneut in die Magengrube, doch nimmt jetzt der zweite Teil die dominante Rolle ein: Die Party vor der Katastrophe strahlt pure Lebensfreude aus, die U-Bahnszene auf dem Weg dorthin sprüht vor Witz, Charme und Echtheit. Und die Szene der beiden Liebenden im Bett hat eine Intimität und Vertrautheit, die zu Tränen rührt: Das ist es, was Kubrick in Eyes Wide Shut wollte, von Tom Cruise und Nicole Kidman aber nicht bekam: Wenn Vincent Casset und seine (damalige) Ehefrau Monica Bellucci eng umschlungen tanzen, zeigt Noé Zärtlichkeit in solcher Essenz wie zuvor die Gewalt. Dafür lohnt es sich zu leben. Eine Lektion, die nicht nur in diesem Film hart erkämpft sein will.
Start: 11.9.
>>> www.alamodefilm.de
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