Anacaona – Aus dem Leben einer kubanischen Musikerin

So exotisch wie spannend: die Erinnerungen der Frau, die vor 70 Jahren das erste kubanische Frauenorchester gründete.

Die Zeiten und ihre Umstände dürften in etwa wie in „Rick’s Cafe Americain“ gewesen sein, so wie wir es aus Michael Curtiz‘ Filmklassiker „Casablanca“ von 1942 kennen. Nur dass sich die Szenerie nicht in Marokko, sondern auf der Zuckerinsel Kuba befindet und dass nicht ein sentimentaler Mann am Piano für die Unterhaltung der Gäste sorgt, sondern ein leibhaftiges Damenorchester mit temperamentvollem Son und Jazz den Laden in Schwung bringt – so eine Art weibliches Pendant zum Buena Vista Social Club also, der allerdings in der Blüte seiner Jugend. Ansonsten: laue Nächte, kühle Cocktails, helle Leinen-Anzüge und der schwere Duft dicker Zigarren. Wir schreiben das Jahr 1932. Die Weltwirtschaftskrise macht sich auch auf Kuba bemerkbar, die Insel steht zudem unter der Knute des Diktators Machado. Was die Menschen in Havanna nicht davon abhält, nachts in den Clubs und Kneipen der Hauptstadt dem Vergnügen zu frönen. Und da ist selbstverständlich auch musikalische Unterhaltung gefragt. Cuchito, eines der 13 (! Kinder des Gemüsehändlers Matias Castro, kommt angesichts allgemeiner Perspektivlosigkeit folgerichtig auf die Idee, mit sechs ihrer Geschwister ein rein weibliches Orchester zu gründen. Das Septett, ausnahmslos mit solider musikalischer Vorbildung ausgestattet, entwickelt in kurzer Zeit nicht nur ein vielfältiges Programm aus Son, Mambo, Rumba. Cha-Cha-Cha und weiteren Stilen der Latin Music, es sorgt durch seine vitalen und professionellen Auftritte überdies schnell für Furore in der Karibik-Metropole.

Der Aufstieg von Anacaona, wie die Damen sich nennen, verläuft unaufhaltsam: 1937 gelingt der internationale Durchbruch, es folgen Konzerte in aller Welt, darunter Engagements in New York, Paris und, natürlich, den größten Städten Südamerikas. Außerdem wirkt Anacaona in diversen Kinofilmen mit. Bis 1959 bleibt das zwischenzeitlich auf elf Damen angewachsene Orchester aktiv. Nach Fidel Castros Machtübernahme allerdings erstirbt das einst vibrierende Nachtleben von Havanna, und die neuen Machthaber führen ihr Land in die Isolation. Die Schwestern verlieren ihre Arbeitsmöglichkeiten und motten die Instrumente nach und nach ein, treten nur gelegentlich noch auf (ähnlich wie die Haudegen des Buena Vista Social Club). Und eine von ihnen, Schlagzeugerin Millo, verschlägt es gar ins bayerische München. Alicia indes hält den Kern zusammen, baut in den 70er, 80er Jahren – sie ist inzwischen im besten Buena-Vista-Alter- eine neue Band auf und ist auch heute noch als 82-Jährige aktiv. Sie ist es, die hier die authentische Geschichte dieses einzigartigen Orchesters aufgeschrieben hat. Nüchtern und unspektakulär erzählt sie von der Musik, von den Reisen, von der Familie, von Triumphen und tragischen Todesfällen, von Höhepunkten und Enttäuschungen. Ein so exotisches wie packendes Stück Musikgeschichte. Gleichzeitig mit dem Buch erscheint über Anacaona auch eine knapp 90-minütige DVD-Dokumentation (Econ-Vertag, 22,95 Euro). www.econ-verlag.de