Suicide – American Supreme

Es gibt Künstler, die sich den Strukturen der Unterhaltungsindustrie und ihrer Transportmediennorm entziehen: Suicide in einer kleinen Plastikschachtel zwischen Britney Spears und Linkin Park – irgendwie lächerlich, als stellte man den Urknall in ein Regal mit RTL-2-Katastrophenfilmen. Suicide lassen sich auch nicht in die Sitzschalen des Rezensionskarussells pressen. Wenn man zu einem künstlerischen Produkt anmerkt, es sei nötig, die Hintergrundgeschichte zu kennen, klingt das snobistisch. Aber Suicides Geschichte seit ihrem skandalösen ersten Auftreten 1971 (unter dem Motto „A Punk Music Mass“! ist spannender als ein Großteil der restlichen Musikgeschichte zusammen. Aber natürlich kann man auch diese Platte hören, ohne irgendwas zu wissen. Was hört man dann? Zuckende, klirrende, zwitschernde, überraschend eindringlich zum Tanzen bittende Instrumentalschleifen von Martin Rev, in denen durch strikte Reduktion immer wieder magisch-hypnotische Momente aufperlen können. Von der provokativen sonischen Primitivität früher Aufnahmen hat sich Rev inzwischen weit entfernt und dabei notgedrungen auch eine Spur Beliebigkeit in seine Ton-Palette gerührt. Wer sein hermetisch-verträumtes, zugleich auch wagemutigeres Soloalbum STRANGEWORLD (2000) kennt, stellt fest: Der böse alte Mann fühlt sich wohl am Tresen hypermoderner Dance-Schuppen. Alan Vega, der bösere alte Mann, der geniale Dichter der Abgründe des urban-amerikanischen Infernos, tut sich vor solchem Hintergrund ein bisschen schwer. Seine in besten Momenten beängstigende, immer irritierende, beunruhigende Stimme spielt geübt mit Verwerfungen von Hall und Echo, zersplittert und sammelt sich wieder, röhrt, bellt und stammelt, vermisst aber bisweilen die tragenden Hände von Revs Playback und wirkt dann seltsam unbeholfen. Wie gut die Chemie der beiden funktionieren kann, deuten die besten Stellen an („Dachau, Disney, Disco“, „I Don’t Know“]; in Vegas Arbeit mit Stephen Lironi (als Revolutionary Corps Of Teenage Jesus, 1999) war die Wirkung umfassender, beeindruckender, gegenwärtiger. Das mag an den nach zehn Jahren Suicide-Absenz überhöhten Erwartungen liegen. Vegas Texte sind so gut, komprimiert und bildhaft wie gewohnt; neu ist der sinistre Humor in den Kommentaren und Zitaten. Natürlich entziehen sich Suicide auch gängigen Bewertungsmaßstäben. Ein gewaltiger, dunkelschwarzer Stern über kontinentaler Ödnis wäre angemessen – doch seien wir kompromissbereit, orientieren wir uns am Gebrauchswert und den Umständen und einigen uns auf: 4

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