Supergrass

Life On Other Planets

Mute / EMI VÖ: 27. September 2002

Taschenkalender stecken lassen! Wir schreiben weiterhin das Jahr 2002. Nur Supergrass haben sich wieder einmal mächtig verbeamt. Der Titel ihres vierten Albums führt in die Irre: LIFE ON OTHER PLANETS ist eine Reise durch die Zeit, nicht durch den Raum. Zuvorderst back to Bolan (später auch zu Bowie]! Der hat es Supergrass diesmal so richtig angetan. Allerdings gelangen weder ihm noch einem anderen Glam-Gott (gab’s denn noch einen?] – möge diese überschminkt-überdrehte Bande den nach Kunstnebel, Umkleidekabinen und Zuckerwatte duftenden Mix aus Handclaps, albernen Chorgesängen und rotzigen Gitarren auch „erfunden“ haben-so viele große Würfe in Serie. LIFE ON OTHER PLANETS ist voll davon: Hits, die uns stampfen, hampeln, unser Haupthaar schütteln lassen. Wir sind wild, wir sind jung und, falls gewünscht, weder in der sexuellen Ausrichtung noch in unserem Geschlecht immer ganz eindeutig zuordenbar. „So why don’t we get it on?“, fragt Zampano Gaz Coombes ungeniert in der unverhohlenen T. Rex-Reminisszenz „Za“, während er zum krachledernen Boogie mit gedoppelter, in hartem Hall gehaltener Stimme in gedehnten Worten Sinnlichkeit einfordert.

Wer das bereits für einen schnittigen Rip-Off hält, dem ist „Seen The Light“ noch nicht zu Ohren gekommen. Ein unerhörtes Räuberstück! Da sitzt jedes Shalala, jedes cheesy Lick, jede einschlägige Gesangsphrasierung genau dort, wo auch Bolan seine beschränkten, aber wirksamen Mittel eingesetzt hätte (von dem kläglich blökenden Schaf im Mittelteil und dem bissigen Sägezahn-Synthesizer einmal abgesehen). Die kongeniale Coverversion eines Songs, von dem es kein Original gibt. Auch an vergleichsweise glitterfreier, ächz, ungeschminkter Stelle weiß LIFE ON OTHER PLANETS, bei dem nur im gemäßigten Tempo auch einmal etwas über zwei Minuten Laufzeit geschieht, nicht weniger als zu begeistern. Dabei ist eigentlich alles nur ordentliches Handwerk, Lausbubenattitüde, die schiere Harmoniewut und mächtig viel Wind, was das vierte Album von Gaz, Mickey, Danny und Robert so unwiderstehlich macht. Und natürlich dieses immer flinkere Händchen für den Diebstahl aus der Jackett-Tasche der britischen Popgeschichte. Im zackigen „Brecon Beacons“ setzen Supergrass eine XTC-Duftmarke, die limitierte UK-only-Vorabsingle „Never Done Nothing Like That Before“ muss hingegen den versammelten Neo-Garagen-Punkrockern mit dem „The“ im Namen wie ein Schlag ins Magendreieck vorkommen. Blur hatten eine Zeit lang immer ein bis zwei ganz ähnliche musikalische Übersprungshandlungen auf ihren Alben. „Evening Of The Day“ findet den Weg von Elvis Costello zu den Kinks; für das unwiderstehliche „Grace“ über die ebenso reizende Trampolin-springende Tochter des Studiobesitzers (Chris Gifford von Squeeze) kommen Supergrass wohl nicht umhin, ein Pfund in das Beatles-Phrasenschwein zu werfen. Und für den „La Song“ sollten sie für die Stranglers eines töpfern müssen (nicht einmal vor Kraftwerk machen sie in diesem Stück Halt].

Supergrass klauen schließlich nicht nur wie die Raben, sondern suhlen sich dank Anthony Hoffer (er produzierte unter anderem Airs 10000 HZ LEGEND und MIDNITE VULTURES von Beck] auch noch in den feistesten und prächtigsten Arrangements und fettesten Sounds, die diese Art der Retrospektive auch für weniger ideenreiche Gestrige äußerst reizvoll macht. Neuestes Objekt der Begierde hierbei: der alte, zu psychedelischen Zwecken bestens einsetzbare Prophet 15-Synthesizer, dem sie sogar eine gleichnamige, angenehm sentimentale Ode setzen. Der vielleicht beste Song des Albums. Romantischer Retrofuturismus at its best!