Catatonia – Paper Scissors Stone :: Inselpop: Frischzellenkur
Aha, wieder so eine Band mit viel Gitarre und Sängerin an der Spitze! So in etwa dachten es sich die britischen Popfans, als sie vor gut sechs Jahren zum ersten Mal von Catatonia hörten. Die Untertanen Ihrer Majestät hatten zuvor bereits Elastica, Sleeper und Echobelly über sich ergehen lassen müssen, nun bekamen sie etwas Ähnliches aus Wales kredenzt. Aber dieses Mal war es doch ganz anders. Cerys Matthews erhob ihr rauchig-räudiges Organ, und schon klang alles um einiges frischer als bei der schwachbrüstigen (und inzwischen wieder vergessenen) Konkurrenz. Matthews steckte ihren Claim für jeden verständlich ab. Nicht irgendwer, nein, „I Am The Mob“, tönte sie großspurig.
Damit war klar, dass hier kein zaghaftes Indie-Girlie, sondern eine Powerfrau auftrumpft. Es war ein Hinweis auf etwas ganz Großes. INTERNATIONAL VELVET schließlich katapultierte die Band in die Beletage. Alle, aber wirklich alle Songs des Albums hatten Traum-Hooklines, die ganze Band wirkte wie aufgedreht, und Matthews hegte in Stücken wie „Why I Can’t Stand One Night Stands“ Groll gegen das stärkere Geschlecht. Das machte selbst in der Männerwelt viel Eindruck und verscheuchte obendrein die Post-Britpop-Depression. Dann begingen die Musiker aus Cardiff den Fehler, einem sehr guten Album zu schnell ein durchwachsenes folgen zu lassen. Sicher gab es auf EOUALLY BLESSED AND CURSED Momente des Aufbegehrens wie im antiroyalistischen „Storni The Palace“ zu belauschen. Doch auf der Minusseite ließ hartnäckiges Schwelgen in orchestralem VarietePathos fast verzweifeln. An diese opulente Phase erinnert auf Paper Scissors Stone noch der Opener „Godspeed“. Sonst knirscht es meistens kräftig, was erneut an Anführerin Matthews liegt, die ihr trunkenes Tremolo aufdreht, in unnachahmlicher Weise auf Konfrontationskurs geht und die theatralische Catatonia-Phase damit wieder einstampft, „I’m gonna change my immediate circle of friends“, nimmt sie sich vor, und alte Amigos tun gut daran, in Deckung zu gehen, denn das bei Blur abgeschaute Quengeln von Gitarren und Keyboards im Song-Hintergrund verheißt nichts Gutes. Das ist kein Einzelfall. Titel wie „Is Everybody Here On Drugs?“ oder eine leidenschaftliche Klage über zu viele Blues-Songs sprechen Bände. Manierismus ist ein Fremdwort. Matthews beobachtet die Gesellschaft, die sie umgibt, und sichtet „mad cows like bumblebees“ (BSE-Kühe, wie Hummeln aufgescheucht). Wer kann da widersprechen oder gar weghören? Wenn nun aber alte Freunde nichts mehr wert sind, wie heißen die neuen Begleiter? Ein Herr namens Techno zum Beispiel, der in „What It Is“ vorsichtig anklopft. Hereingelassen haben ihn Clive Langer und Alan Winstanley, ehemals Stammproduzenten von Madness, jetzt die neuen Zuarbeiter am Catatonia-Mischpult. Ihrer Offenheit dürfte es zu verdanken sein, dass die gesamte Band sehr konzentriert agiert und sich den verschiedensten Arrangementideen gegenüber aufgeschlossen zeigt. Toll etwa, wie sich in „Stone By Stone“, einem der stärksten Tracks des Albums, Streicher nach Art von „Bittersweet Symphony“ mit Seemannschören abwechseln. In handwerklicher Hinsicht beweist das durchaus Respekt vor historischen Insel-Errungenschaften. Doch es verfängt sich dennoch nicht im Netz chauvinistischer Nostalgie, wie es zu Britpop-Zeiten des öfteren zu beobachten war. Dass Catatonia damit weit
kommen können, wissen sie selbst. „Every 1’s a winner baby, maybe we could be the first to cross the line“, spekuliert Frau Matthews zum Abschluss des Albums. Warum maybe, darling? Nur nicht so schüchtern. Darfst angesichts dieses Weckrufs von Brit-Album ruhig definitely sagen.
www.catatonia.net
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