Manic Street Preachers: Berlin, Columbiahalle :: Rock mit Message
Was ist schon ein Gig in Berlin, wenn man ein paar Wochen zuvor als erste Rockband der Welt auf Kuba gespielt und selbst Fidel Castro zum wohlwollenden Kopfnicken gebracht hat? Was sind schon ein paar tausend Fans im Vergleich zu jenen 56.000 verrückten Walisern, mit denen die Manie Street Preachers im „Millennium Stadium“ von Cardiff die Wende des Jahrtausends in einem seltsam patriotischen Euphorierausch abgefeiert hatten? Verkleinern derlei pophistorische Wegmarken den Konzertalltag von James Dean Bradfield, Nicky Wire und Sean Moore auf die nüchterne Dimension eines stinknormalen Arbeitstages? Wasser auf die Mühlen dieses Verdachts gießt ein gnadenlos vergeigter Showauftakt, den die Manie Street Preachers vor zehn Jahren zumindest mit einem auffälligen Dresscode noch hätten abfangen können. Doch heute bestimmt Armee-Drillich zu zwei Dritteln das Bühnenbild. Nur Nicky Wire schert aus der Reihe, hat Strickjacke und Jogginghose den Vorzug gegeben vor dem von ihm gewohnten Cheerleader-Röckchen. Wer nah genug am Bühnenrand steht, um in die pilotsonnenbrillenverglasten Augen des Mannes am Tieftöner zu blicken, könnte sogar meinen, dort mehr als nur den unter Rockstars üblichen Hauch von Lethargie zu entdecken. Und bis in die letzten Reihen der Halle wird überdeutlich, dass Gitarrist und Sänger James Dean Bradfield die Klassenkampfelogen des neuen Albums „Know Your Enemy“ mit einer gewissen Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Langeweile intoniert. Doch darf man sich von diesem ersten Eindruck nicht täuschen lassen – selbst wenn dieser durch einen erbarmungslos schlechten Sound noch verschlimmert wird. Ebenso wenig darf man sich sofort mit tiefer Verzweiflung abwenden ob der Tatsache, dass mit „Motorcycle Emptiness“ ausgerechnet die größte, die schönste, die schwärzeste Teenagerhymne der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte diesen Startschwierigkeiten geopfert wird. Denn erstens haben die Manie Street Preachers eine ganze Wagonladung voller Hymnen im Gepäck, und zweitens treiben sie sich selbst zunehmend in jenen Punk-Furor hinein, der auch das aktuelle Album „Know Your Enemy“ prägt. Spätestens mit „Masses Against The Classes“ rocken sie sich dann endgültig das Oasis-Syndrom aus den Klamotten und das Dach von der Halle. Die Erde bebt und der Mob mir ihr. Zum Glück. Aber seien wir einmal ganz ehrlich: Es wäre ja auch sehr seltsam, wenn die Manie Street Preachers, deren neue Stücke in textlicher Hinsicht wieder mal keine Kompromisse kennen und klare Statements darstellen, auf der Bühne so täten, als ginge sie das alles plötzlich nichts mehr an.
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